Menschen geraten oft in Stress und in Schieflage, weil sie überengagiert sind. Wie kommt das? Was ist zu tun, um das zu verhindern? Was, um in einer guten professionellen, gesunden und leistungsfördernden Verfassung zu bleiben?
Wenn Menschen motiviert und mit Freude Dinge angehen
wenn sie sich für gute Vorhaben reinhängen, ist das schön und begrüßenswert. Allerdings übersehen manche dabei einen wichtigen Aspekt: Nur wenn es uns gut geht, können wir dafür sorgen, dass die Dinge auch gut werden.
Öfter als uns lieb sein kann, fühlen wir uns also eher ungut. WIEDER EINMAL ist dann sehr viel zu tun. WIEDER EINMAL wissen wir nicht so recht, wie wir die vielen Aufgaben abarbeiten sollen. WIEDER EINMAL fragen wir uns, wie wir mit dem Druck und dem Stress umgehen sollen. Und auch, ob das alles so sein soll.
Phasen, in denen es hoch hergeht, sind völlig normal. Normal ist auch, dass wir solche Phasen aushalten und auch auszuhalten haben.
Für uns ist das nicht schlimm.
Im Gegenteil gibt uns das oft sogar den Kick. Denn wir wissen: Die Anstrengung wird sich lohnen. NACHHER werden wir zufrieden auf ein passables Ergebnis schauen.
All das ist also normal für uns.
Unter NORMALEN Umständen.
NORMAL bedeutet
dass auf beanspruchende Phasen, die unseren vollen Einsatz erfordern, ruhigere Phasen folgen. Dann können wir aufräumen, nacharbeiten, Erfahrungen nachbesprechen und uns für das nächste heiße Projekt wappnen. Wir können regenerieren, um wieder voll da sein und leisten zu können.
Macht sich bei Einzelnen oder auch im Team, der Abteilung, der Unternehmung dagegen immer öfter ein allgemein ungutes, unzufriedenes, gestresstes Gefühl breit, ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass hier KEINE normalen Umstände herrschen.
Hier brennt gerade gehörig etwas an.
Und zwar auf individueller UND auf unternehmerischer Ebene
Die gute Stimmung, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit stehen auf dem Spiel – auf längere Sicht. Und damit die Wertschöpfung und der Profit!
Wird bei uns immer öfter alles „zu viel“, sind die Zeitpläne länger schon „eng gesteckt“, haben wir uns „mal wieder viel vorgenommen“, wissen wir schon wieder nicht, wie wir „das alles schaffen“ sollen, können wir unsere Überstunden schon nicht mehr zählen oder sind wir die letzten Wochen gar nicht mehr zur Ruhe zu kommen…
DANN sind das vielleicht für UNS typische, aber eben keine normalen, geschweige denn gute, leistungsfördernde Umstände. Sondern: ungesunde, die uns und unsere gute Arbeit einschränken.
Wir laufen dann nicht nur Gefahr auszubrennen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass das passiert./1/
Doch was heißt das? Und wie lässt sich herausfinden, wie gefährdet wir gerade aktuell sind?
Indem wir reflektieren und uns selbst einschätzen. Ich nutze dafür gerne das hilfreiche Modell der Burnout-Uhr./2/
Die Burnout-Uhr zeigt in zwölf Schritten, wie Menschen ausbrennen (können). Das Modell stellt einen „typischen“ Verlauf dar. Es hilft, sich und sein Umfeld einzuschätzen und die Frage zu beantworten: Sind wir gerade dabei, in gutem Sinne für eine Sache zu brennen? Oder übertreibe ich/übertreiben wir es gerade? Bin ich/sind wir gerade dabei auszubrennen?
Wie jedes Modell bildet auch die Burnout-Uhr nicht alle Facetten der echten Welt ab. Und schon gar nicht reicht die Uhr für eine grundlagende klinische oder medizinische Diagnose. Für eine persönliche Einschätzung aber oder für eine Teamreflexion ist es erfahrungsgemäß ein sehr gutes Mittel.
Schließlich geht es stets um die, ja, buchstäblich überlebenswichtige Frage: Wie leistungsfähig sind wir gerade (noch)?
Die zwölf Phasen der Burnout-Uhr
1. Sich beweisen: Idealismus!
Für alles, was wir tun, brauchen wir genau diese Motivation der guten Idee. Nur, wenn wir davon überzeugt sind, dass es sich lohnt, werden wir tätig. „Das ist ein interessantes Projekt, das machen wir!“ Dieser erste Schritt ist unkritisch.
2. Verstärkter Einsatz!
„Das macht Spaß!“ „Das macht Sinn!“ „Das wird knapp, aber wir schaffen das schon!“ Auch dieser Schritt ist – unter gesunden, also nicht zwanghaften Umständen – normal und gut. (Das ist der Fall, wenn die Anforderungs- und Kompetenzprofile aufeinander passen, wir also – noch – in der Komfort- oder Lernzone agieren können und im Flow sind.)
3. Subtil eigene Bedürfnisse vernachlässigen
„Eigentlich bräuchten wir jetzt mal eine Pause, aber es hilft ja nix.“ „Das dokumentieren wir später. Wichtiger ist, dass wir jetzt schnell entwickeln und deployen.“ – „Ich bleibe noch eine Stunde im Büro und mache etwas für die Arbeit fertig. Fangt ihr schon mal mit der Bandprobe an.“
Immer öfter werden eigene Bedürfnisse hintangestellt. Vereinzelt und als Ausnahme ist das kein Problem. Jetzt aber wird es zur Gewohnheit./3/
4. Konflikte und Bedürfnisse verdrängen
„Die im Betrieb beruhigen sich schon wieder.“ „Ich muss ja nicht bei jeder Probe dabei sein.“ Sowohl die eigenen Bedürfnisse wie auch die Bedürfnisse anderer werden immer öfter kleingeredet, verdrängt, übergangen. Dies geschieht manchmal bewusst, oft aber auch unbewusst. Die jetzt auftretenden Konflikte („Wir müssen nachlesen können, wie ihr das gebaut habt!“ „Bist du wieder nicht dabei?“) werden ausgeblendet, heruntergespielt oder verdrängt („Alles halb so wild.“).
5. Werte umdeuten
„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ „Liefern ist viel wichtiger als das, wie die im Betrieb ihre Arbeit machen.“ „Der Job ist wichtiger als mein Hobby.“ Um das eigene, veränderte Verhalten sich selbst und anderen gegenüber erklärbar zu machen und auszuhalten (kognitive Dissonanz) werden in den immer häufiger auftretenden externen wie internen Konflikten Werte umgedeutet. Aus voller Überzeugung. Schließlich arbeitet man für eine wichtige Sache.
6. Probleme verleugnen
Die Probleme, die sich aus dem strikten Fokus auf die mutmaßlich wichtige Sache ergeben, werden ignoriert und verleugnet. „Welche Kollegin vom Betrieb? Kenne ich nicht.“ „Ich weiß gar nicht, was ihr habt, ich war doch ein paar Mal bei der Probe.“ Auch dies geschieht – stressbedingt – oft unbewusst. Und vor allem: immer aggressiver (streitlustig) und auch autoaggressiver (wenig Schlaf, ungutes Denken, Sprechen, Handeln, ungesundes Essen, Alkohol, Zucker, Rauchen…).
7. Sozialer Rückzug
Der Fokus ist voll auf die Sache gerichtet, was dazu führt, dass für andere Dinge noch weniger Zeit, Energie und Aufmerksamkeit bleibt. Das regelmäßige Treffen mit der Kollegin aus der Nachbarabteilung wird immer öfter abgesagt. Zu privaten Runden rafft man sich immer seltener auf, auch wird man seltener eingeladen (man ist auch keine besonders anregende Gesellschaft mehr)…
8. Offensichtliche Verhaltensänderung – Umfeld zieht sich zurück
„Mit dem/der kannst du gar nicht mehr reden.“ „Wird Zeit, dass wir uns einen neuen Gitarristen suchen.“ Die durch die vorigen Schritte eingeläutete Verhaltensänderung ist jetzt endgültig vollzogen. Das Umfeld zieht entsprechende Konsequenzen, schließlich haben alle bisherigen Versuche, Signale und Gespräche wenig bewirkt, im Gegenteil hat man sich nur streiten und ärgern müssen.
9. Depersonalisation
Die veränderten, umgedeuteten Werte, das veränderte Verhalten und die anhaltenden internen und externen Konflikte hinterlassen Spuren: Die Betroffenen sind nicht mehr sie selbst. Sie agieren nicht mehr so, wie sie eigentlich wollen, nach ihren eigentlichen inneren Zielen und Wertewelten. Um dieses System der kognitiven und emotionalen Dissonanzen aufrechtzuerhalten, ist viel (unbewusstes) Energiemanagement zu betreiben. („Das ist falsch, was ich hier mache/wir hier machen! – Ich/wir machen es trotzdem so!“)
10. Innere Leere
Die Kombination von Dissonanz und Energieaufwand sorgt dafür, dass die Frage sich immer lauter zu Wort meldet: „Wozu das Ganze? Das ist so anders als das, was ich WIRKLICH will bzw. wir EIGENTLICH wollen: Was soll’s?“ Einzelne Menschen versuchen sich an diesem Punkt zu helfen, indem sie Aufstecken, sich in die innere Kündigung begeben oder andere Schutzmechanismen entwickeln, z.B. indem sie zynisch werden und lustlosen Dienst nach Vorschrift machen. Die (Gefühls-) Welt beginnt sich einzutrüben. Der Spaß geht verloren (an der Umwelt und am Leben). Eine bleierne Gefühllosigkeit sich selbst (und anderen) gegenüber ist die Folge.
11. Schwere Depression
Im Teamgeschehen kommt es meist nicht so weit. Vorher hat sich das Team aufgelöst. Oder es kommt zu dauerhaft hohen Krankenständen und/oder Fluktuation.
Einzelne Menschen entwickeln spätestens (!) hier nicht nur psychosomatische Symptome wie Rücken- oder Kopfschmerzen, Bandscheibenvorfälle etc. Sondern jetzt sogar depressive Züge wie z.B. das Gefühl der Niedergeschlagenheit, schlechter Schlaf, anhaltende Müdigkeit, Verlust der Regenerationsfähigkeit, Übersprungshandlungen etc.
Es herrscht Antriebslosigkeit und niedergeschlagene, hoffnungslose Resignation als Dauerzustand. In diesem Zustand agieren Menschen überwiegend bis ausschließlich im Überlebensmodus („Zombie“).
12. Völlige Erschöpfung/Burnout
Jetzt geht gar nichts mehr. Teams fallen spätestens hier auseinander. Sie sind schon seit längerem nicht mehr arbeitsfähig, auch wenn ausgeprägter Aktionismus Liefer- und Handlungsfähigkeit suggerieren.
Das gilt auch für einzelne Menschen. Auch sie sind nicht mehr arbeitsfähig, auch wenn sie sich und anderen durch Betriebsamkeit anderes versuchen vorzutäuschen (intern wie extern: Gedankenkreisel, fahrige Übersprungsaktivitäten).
Als Folge auch dieses letzten energiereichen Aufbäumens verlieren sie die Fähigkeit zur Regeneration (u.a. Stoffwechsel). Und ihre Fähigkeit, motiviert gute vernünftige Entscheidungen für sich und ihre Arbeit zu treffen.
Idealerweise und allerspätestens (!) holen sie sich jetzt Hilfe. Am besten in Form fachärztlicher und therapeutischer Betreuung. (Coachings reichen an diesem Punkt nicht mehr und könnten eine Genesung sogar hinauszögern.)
Wichtig
Menschen – auch Gruppen von Menschen – durchlaufen diese zwölf Phasen nicht linear, sondern oft über einen längeren Zeitraum in Schleifen. Auch gehen (glücklicherweise) nicht alle Menschen zwangsläufig alle zwölf Schritte bis zum bitteren Ende.
Und das ist der Grund, warum ich die Burnout-Uhr gerne verwende. Um zu zeigen: Es gibt Möglichkeiten, auf dem Weg stehen zu bleiben und die Uhr zurückzudrehen. Menschen können an verschiedenen Stellen aussteigen, um – nach einer Pause und Reflexion – wieder an einem besseren, passenderen Leistungs-Punkt einzusteigen.
Genau darum geht es, wenn wir dauerhaft dafür sorgen wollen, dass die Dinge gut werden: Immer wieder haben wir zu fragen: Wie viel Uhr ist es? Bewegen wir uns zwischen ein und drei Uhr? Sind wir gerade im gesunden Flow?
Oder ist es schon etwas später und vielleicht sogar zu spät? Arbeiten wir übermäßig angestrengt? Machen wir ärgerliche Fehler, streiten wir uns mehr und härter als sonst? Sind wir gerade dabei, den Spaß zu verlieren? Mit anderen Worten: Sind wir so gut wie wir sein könnten und müssten?
Falls nicht, wird’s höchste Zeit, innezuhalten, die Uhr zurückzudrehen und die Dinge besser anzugehen!
Das muss man von uns motivierten Profis erwarten können. Das sind wir uns – und allen anderen – schuldig.
Anmerkungen
- /1/ Der Plural ist hier bewusst gewählt. Denn wir bewegen uns ja schon in „unnormalen“, beanspruchten, angespannten, stressigen Zeiten, in welchen wir grundsätzlich schon viel zu tun haben. Fällt nun jemand wegen der anhalten Beanspruchung aus, hat das – natürlich – einen direkten (und exponentiellen) Einfluss auf die Leistungsfähigkeit bzw. den Stresslevel des Teams, das die Aufgaben des ausgefallenen Mitglieds ja zusätzlich zu erledigen hat.
- /2/ Entworfen von Herbert Freudenberger. Es gibt mehrere solcher Modelle, die alle ähnlich sind.
- /3/ Und das geht schneller, als man denkt.
Weiterführendes & Webadressen
- Wikipedia-Artikel zu Herbert Freudenberger: https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Freudenberger
- Internetpräsenz der Burnout-Selbsthilfegruppe „YourWay2Life“ in München – Informationen für Hilfsstellen und Literaturhinweise
- Rodehack, Edgar: Burnout im Unternehmen? Nix wie ran!
- Rodehack, Edgar: Einmal Burnout und dann… weiter! Podcast-Interview.
- Rodehack, Edgar: Organisatorischer Stress ist geschäftsschädigend. Und Körperverletzung.
- Rodehack, Edgar: „Wem es zu viel wird, der kann ja gehen“? – Führung und Leistung.
- Rodehack, Edgar: Vom Glück, Verantwortung zu teilen. Blogpost auf www.teamworkblog.de
- Rodehack, Edgar: Vor einem Burnout? Mittendrin? Was tun? Blogpost auf www.teamworkblog.de – Inklusive ausführlicher Literaturliste