Freitag, der 19. März 2021

Systemtheorie – Chrashkurs #2: Wie funktionieren Systeme?


Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie.


Im ersten Teil dieser kleinen Serie zum Thema Systemtheorie ging es darum, was ein System zu einem solchen macht. Vereinfacht: Ein System ist eine Einheit, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzt. Die Elemente eines Systems stehen miteinander in Verbindung. Mal mehr, mal weniger. Heute also die Frage:


Wie funktionieren Systeme – so ganz grundsätzlich?


Struktur: Die Teile eines Systems sind immer miteinander verbunden und/oder stehen miteinander in Beziehung. Und wenn es nur die gemeinsame „Hülle“ oder „Außenhaut“, die sie vereint. Das Geflecht von Verbindungen und Beziehungen sind die Struktur eines Systems.

Material„: Verbindungen und Beziehungen sind durch Kommunikationen gestaltet. (Ich weiß, das ist ein bisschen schwer zu verstehen, aber bitte bleibt dabei!)

Organisation: Systeme organisieren fortlaufend ihre eigene Struktur. Und zwar aus sich selbst heraus. Systeme erzeugen (überlebens-) wichtige Elemente und Verbindungen und sorgen gleichzeitig dafür, dass bestehende Teile am Leben bleiben. Bedrohendes wird abgestellt und/oder abgestoßen.

Leben/Weiterentwickeln/Existieren: Systeme sorgen dafür, dass sie mindestens weiter Bestand haben bzw. überleben und sich – eventuell – weiterentwickeln (z.B. wachsen).

Selbsterhaltung als oberste (einzige) Aufgabe: Oft heißt es, Systeme neigten dazu, sich selbst zu erhalten. Das ist nicht ganz richtig. Und es ist irreführend. Denn so könnte man meinen, dass Systeme auch anderes tun. Streng genommen, tun Systeme aber nichts anderes, als sich um sich selbst zu kümmern. Schaffen sie das nicht, sterben Systeme bzw. hören sie auf, zu existieren.

Austausch mit der Umwelt: Indem sie versuchen, sich selbst zu erhalten, sind (die allermeisten) Systeme auch auf Austausch mit ihrer Umwelt angewiesen. Das heißt, dass Systeme auch anderen Systemen bei der Selbsterhaltung helfen. Das ist aber – WICHTIG! – nur ein Seiteneffekt. Je besser sich Systeme an die Umwelt anpassen und mit ihr in Austausch treten, desto größer die Erfolgs- also Überlebenschance.

Verhalten: Wie sich Systeme verhalten, hängt davon ab, wie die Ursache-Wirkungs-Beziehungen im INNENVERHÄLTNIS angelegt sind, wie also Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse organisiert sind.

Arten: Es gibt einfache, komplizierte und komplexe Systeme (und jede Menge Mischformen), die sich jeweils unterschiedlich verhalten (auch situativ):

  • Einfache Systeme: Folgen immer gleichbleibenden, (relativ) leicht erkennbaren Kausalitäten. „Tue ich X, geschieht sicher Y“; „Input X ergibt Output Y.“ Beispiele: Toilettenspülung, Schweizer Taschenmesser.
  • Komplizierte Systeme: Folgen immer gleichleibenden, aber nicht gleich ersichtlichen Kausalitäten, mit gewissem Forschungs-Aufwand sind sie aber zu ergründen Beispiel: Boing 747.
  • Komplexe Systeme: Folgen keinen ersichtlichen, immer gleichen und/oder immer wechselnden Kausalitäten („Tue ich X, kann sein, dass Y passiert. So war es letztes Mal. Aber seither hat sich auch einiges getan. Nur was, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.“) Beispiel: Menschen, Gespräche, Gedanken, Pizzateig.


Kurzer, erklärender Einschub


Alle lebensnahen Praktiker, die schon unruhig sind: Bitte noch ein wenig Geduld. Dies hier ist THEORETISCH, MODELLHAFT, SCHABLONENHAFT und SEHR VEREINFACHT dargestellt (noch dazu ultraverkürzt).

Es heißt ja auch SystemTHEORIE. Nicht SystemPRAXIS. Theorien dienen dazu, einen guten Umgang mit alltäglichen Phänomenen zu finden. Und klar: Die Landkarte ist nicht das Gebiet!

So, nachdem wir das geklärt haben, noch ein paar


Beispiele für komplexe Systeme


Konzern

    1. Struktur: Im Konzern finden sich die Tochtergesellschaften zusammen.
    2. Material: Der Konzern besteht aus allem, was und wie gesprochen und geschrieben wird. Und zwar nach Innen wie nach Außen. Mit allen Medien, die zur Verfügung stehen: Meetings, Telefonaten, Videokonferenzen, Mails, interne Briefings genauso wie Werbebotschaften etc.
    3. Organisation: Fehlt ein Bereich, wird er eröffnet oder zugekauft. Gibt es einen (mutmaßlichen) Bedarf, wird solange hingearbeitet, bis Budget dafür bereitgestellt wird.
    4. Weiterentwicklung: Kommt ein Bereich in Schieflage und gefährdet damit das Konzernergebnis, werden allerdings zunächst Rettungs- oder Sanierungsmaßnahmen ergriffen. Ist ein Bereich/eine Gesellschaft nicht mehr tragfähig, wird er/sie dicht gemacht oder verkauft.
    5. Selbsterhaltung: Schon mal in einem Konzern gearbeitet? Schon mal gefragt, was der Sinn sein soll, dass Sie die wenig aussagekräftigen Zahlen jede Woche dorthin reporten? Jetzt wissen Sie es. Zur Sicherung des Systems Konzerncontrolleing. Für die KollegInnen dort macht das Sinn! Zwinkerzwinker.
    6. Austausch mit der Umwelt: Finanzspritze von privaten Investoren oder von staatlicher Seite. Handelsverträge mit Zulieferern, Kooperationsverträge etc.

Mensch

    1. Struktur: Körper, Organe, Knochenbau, Körpersäfte etc.
    2. Material: Nerven, Botenstoffe, biochemische Vorgänge, Gefühlsregungen aller Art etc.
    3. Organisation: Bewusstes oder unbewusstes Regeln von Atmung, Körperspannung etc. Energie wird dorthin gebracht, wo es am meisten gebraucht wird. Etc.
    4. Weiterentwicklung: Permanente Erneuerung aller Zellen
    5. Selbsterhaltung: Automatisches Abspulen von Überlebensmustern: Atmung dürfte vermutlich ein gutes Beispiel sein (schon mal versucht, nicht mehr zu atmen?)
    6. Austausch mit der Umwelt: Atmen, Trinken, soziale Kontakte, Resonanzerfahrungen

Fachlicher Kollegenstreit

    1. Struktur: Wiederstreitende Ideen, Gedanken, Denkstrukturen. UND, damit es noch komplexer wird: Die Persönlichkeiten der KollegInnen, die miteinander streiten
    2. Material: Alles, was sprachlich und köpersprachlich gesagt und getan wird (und was nicht) und auch wie.
    3. Organisation: Der Streit wird solange am Köcheln gehalten, solange  es eine Basis dafür gibt. Heißt: Solange mindestens ein Streitbeteiligter noch einen Grund dafür sieht.
    4. Weiterentwicklung: Im Idealfall erwächst aus einem Streit eine fruchtbare Idee, eine neue Form der Kooperation oder schlicht eine festere Beziehung zwischen den Streitpartnern. Wenn es blöd läuft…
    5.  Austausch mit der Umwelt: Der Klassiker: Die Streitpartner suchen nach Bestätigung in ihrem Lager (wohlmeinende KollegInnen, Fachliche Argumente von externen Experten). Oder auch: Hilfe von Mediatoren.

Zum Verdauen ein bisschen nachdenken


  1. Leuchtet mir das alles ein? Ist es für mich nachvollziehbar? Warum? Warum nicht?
  2. Welche Beispiele fallen mir aus meiner Welt für einfache, kompliziert und komplexe System ein?
  3. Welche Strukturen erkenne ich dort?
  4. Wie kann mir all das in meiner Arbeit helfen?

Was mir sonst noch dazu einfällt