Mittwoch, der 12. Mai 2021

Schuld? Verantwortung? Opfer? Täter? Scheitern? Erfolg!


Sind Sie Führungskraft? Abteilungs-, Team- oder Projektleiter? Dann sind Sie sicher öfter mit Anschuldigungen und Vorwürfen von MitarbeiterInnen, KollegInnen, Vorgesetzten oder Kunden konfrontiert. Entspannen Sie sich: Sie sind nicht schuld. Sie sind verantwortlich. Halten Sie das für eine Spitzfindigkeit? Wo soll da schon der große Unterschied sein? Die Antwort ist: Im Ergebnis.


„Ist die Führung immer an allem schuld?“ lautete die provokante Frage, die mein Blog-Kollege Wolf Steinbrecher vor einiger Zeit im Teamworkblog stellte. Darin nahm er die gängigste Reaktion auf persönliche oder wirtschaftliche Fehlentwicklungen und Krisen unter die Lupe, die wir nur allzu gerne an den Tag legen:

Läuft etwas schief, fragen wir „Wer ist schuld“? So unterhaltsam für Außenstehende diese Suche nach dem Schuldigen und der folgende „Prozess“ manchmal sein mag: Zielführend sind sie genauso wenig wie sie kurz-, mittel- oder langfristig zu einem guten Ergebnis beitragen.

Die Zutaten für’s Gericht

Das Konzept von Schuld ist in der abendländischen Kultur ein verbreitetes Denk-, Handlungs- und Reaktionsmuster. Wir lernen sehr früh: Wer gegen Regeln verstößt und Fehler macht, wird bestraft. Ja, sogar das Leben bestraft uns, wenn wir zu spät dran sind. Und noch nicht einmal Unwissenheit schützt uns vor Strafe!

Es sind diese vier Komponenten, die im Schuld-und-Opfer-Denken eine Rolle spielen:

  1. Gesetz und Moral, das für alle verbindliche Regelwerk
  2. Täter mit einer bewussten oder unbewussten Handlung, die gegen das Regelwerk verstößt
  3. Opfer, das durch diese Tat einen Schaden erlitten hat und im „Recht ist“
  4. Richter, die neutrale Instanz, die über die Schwere der Schuld und über das Strafmaß entscheidet


Exzellente Leistungen verhindern – so wird’s gemacht

Wenn wir über Schuld verhandeln, geht es deshalb zumindest implizit immer auch um den richtigen oder falschen Weg, von dem jemand mutmaßlich abgekommen ist. Und es geht um Strafe, also um irgendeine Form von Kompensation.

Keine Frage: Es gibt sie, diese unlauteren Motive und Handlungen von Schurken, die sich auf Kosten anderer und manchmal sogar auf kriminelle Art einen Vorteil verschaffen. Und so ist es gut, dass es Möglichkeiten gibt, solche Fälle zu ahnden.

Im normalen alltäglichen zwischenmenschlichen Umgang aber, und besonders in der Geschäftswelt, in der Teamarbeit, im Kundengespräch oder in der Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern oder Projektleitern und Kunden ist das Schuldprinzip kontraproduktiv und verhindert exzellente Leistungen, weil man dort ein Prinzip anzuwenden versucht, wo das nicht funktioniert.

Denn es gibt zwar vielleicht eine Etikette oder einen Business-Knigge, aber allgemeingültige oder gar verbindliche Regeln und Gesetze? Fehlanzeige. Auch eine neutrale Richterinstanz existiert nicht, die zwischen den Beteiligten vermitteln oder „richten“ könnte. Und bei der Kompensation sieht es ebenfalls schlecht aus: Wie soll ein Ausgleich in den alltäglichen geschäftlichen Fällen aussehen, wo Fehler gemacht wurden?

Abgesehen von einer devoten Haltung mit schlechtem Gewissen und ebensolchem Gefühl: Was kann ein Kundenbetreuer seinem Vertriebsleiter als Kompensation für einen geplatzten Deal beim Kunden anbieten? Was der Projektleiter dem Lenkungsausschuss für eine Terminverzögerung?


Devote Haltung und schlechtes Gewissen? Beides trägt zu einer Problemlösung konkret nichts bei. Im Gegenteil: Sie setzen diffus unter Druck, sorgen für schlechte Stimmung und für das (oft leider berechtigte) Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Eine Retourkutsche – wie auch immer geartet – ist nicht selten nur noch eine Frage der Zeit (/1/).

Das geschieht ihm Recht – mir leider auch!

Wir fragen nach Schuldigen, weil wir uns in der stärkeren Position wähnen und glauben, dies tun zu dürfen (/2/), manch einer denkt vielleicht, es tun zu müssen (/3/). Und es gibt noch einen Grund:

Schuldfrage und Opferhaltung lenken immer auf sehr bequeme Weise von der eigenen Verantwortung ab.

Wer einen Schuldigen hat, inszeniert sich oder andere als Opfer äußerer Umstände, die jemand anderes zu verantworten hat. Die Fragen nach den tatsächlichen Gründen, dem eigenen Anteil an der Situation oder an der Lösung? Sie stellen sich im Schuld-Opfer-System gar nicht. Soll gefälligst derjenige die Suppe auslöffeln, der sie eingebrockt hat!

Wir machen damit einen großen Fehler, denn wir sind – egal welchen Rang wir haben -, immer in irgendeiner Form vom Problem betroffen und von der Lösung abhängig.In einem System gilt: Hat einer ein Problem, haben es alle. So trägt denn auch jeder einzelne bei allem, was er tut oder unterlässt zum Geschäftserfolg bei. Und deshalb tragen alle – vom Pförtner bis zur Geschäftsführung – auch die gleiche Verantwortung.

Sie besteht darin, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten den Erfolg und mindestens den Fortbestand der Unternehmung zu sichern. Notfalls auch außerhalb des zugewiesenen Aufgabenbereichs.


Schuldzuweisung und Opferdenke ist in diesem Sinne fahrlässige Untätigkeit und unterlassene Hilfeleistung. Wir bringen damit die Unternehmung und uns selbst in Gefahr.


Win-Win statt Lose-Lose!

Wer Erfolg haben will, akzeptiert die Tatsache, dass zu einem Ergebnis immer viele Menschen beitragen. Menschen tun stets, was sie im jeweiligen Moment für sich oder andere für richtig oder notwendig halten.

In diesem Sinne herrscht in unser aller Handeln Gleichberechtigung – unabhängig von Hierarchien und Entscheidungsbefugnissen. Das bedeutet auch, dass Erfolg immer nur eine Annäherung an eine persönliche Idealvorstellung sein kann.

Wer den größtmöglichen Erfolg haben möchte, fragt deshalb danach, was der gemeinschaftliche Erfolg für alle ist und was er/sie selbst dazu beitragen kann, um wieder auf Kurs dorthin zu kommen.

Genau dazu haben wir jeden Tag aufs Neue die Chance.



Anmerkungen

  • /1/ Manchmal geschehen diese Retourkutschen ohne Rücksicht auf eigene Verluste: Die Lust am gemeinsamen Untergang wird dann oft regelrecht zelebriert.
  • /2/ Als kleinen philosophischen Einwurf: Haben wir wirklich ein Recht dazu? Wann dürfen wir wirklich unlautere Motive unterstellen, wann explizit Schuld zuweisen? Dürfen wir das, wenn jemand anders handelt, als wir es aufgrund unserer eigenen oder allgemein anerkannt vermuteten Werte erwarten? Wer gibt uns dieses Recht? Der Vorgesetzte, der Inhaber, der so genannte gesunde Menschenverstand?
  • /3/ „Motivation“ durch Druck ist noch immer ein sehr gängiges Führungsinstrument, das ja unbestritten gewisse Erfolge hervorrufen kann. Wohlgemerkt mittels Zwang, und nicht mit Motivation, die Freiwilligkeit voraussetzt. Durch Druck wird aber die Chance auf exzellente Team-Leistungen vergeben, weil so innere Widerstände erzeugt werden, die Energieentfaltung und Kreativität verhindern und die Loyalität mindern.
  • /4/ Das kann und wird bedeuten, dass personelle und strukturelle Konsequenzen gezogen werden: Ein Prozess z.B. wird angepasst oder ein unzuverlässiger Mitarbeiter durch ein zuverlässigeren erstetzt.

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