Donnerstag, der 29. Dezember 2022

„Wollt Ihr die totale Konkurrenz?!“ – Nein, danke. Ich will lieber Erfolg, ich will spielen!


Es wird Zeit, dass wir uns daran erinnern, um was es wirklich geht: Dass wir gemeinsam gestalten, spielen und auch gemeinsam gewinnen. Und was wir riskieren, wenn wir das ignorieren


„Du musst lernen, härter zu werden.“

Das war der Tipp einer wohlmeinenden Kollegin in einem meiner letzten angestellten Jobs. Vermutlich hatte sie sogar recht. Zumindest für die Firma, für die ich damals arbeitete. Ich wollte (und konnte) aber nicht härter werden. Ich wollte nur meinen Job gut erledigen.

Denn das macht mir am meisten Spaß. Ich liebe es, mich Herausforderungen zu stellen. Vor allem dann, wenn es knifflig zu werden scheint. Wenn viele Menschen und unterschiedliche Interessen beteiligt sind.

Wenn Ziele noch ein bisschen unklar sind. Wenn der Weg auszuloten und zu finden ist. Wenn alles mit ein bisschen Anstrengungen und Abenteuer verbunden ist. Wenn es darum geht, mich mit meinen Fähigkeiten und Ideen einzubringen. Vor allem: Wenn es darum geht, all das gemeinsam mit anderen zu tun.

Nichts ist für mich also schöner und befriedigender, als mit guten Leuten gute Dinge zu bewegen und dafür zu sorgen, dass möglichst alle beteiligten Menschen möglichst viel gewinnen.


Das ist total normal.

Den meisten Menschen geht es so. Denn Menschen sind “Homo Ludens”. Wir spielen gerne. Wir gestalten gerne. Wir probieren gerne aus.

Und: Wir gewinnen gerne. Denn das gibt uns ein gutes Gefühl, weitere Gestaltungsmöglichkeiten und Sicherheit.


Und weil wir nicht nur spielende

sondern auch SOZIALE Wesen, also auf den guten Willen und die Solidarität anderer angewiesen sind, spielen wir eben immer auch gerne: GEMEINSAM. Mit anderen. Für andere. Das ist das soziale Spiel.

In meiner damaligen Firma herrschte allerdings eine andere Vorstellung von “sozial” und “Spiel”. Es ging selten und wenn, dann vorgeblendet darum, GEMEINSAM etwas auszuprobieren oder gar GEMEINSAM zu gewinnen. Es galt das Recht der Stärkeren, der schlaueren Strippenzieher.


Diejenigen, die den Ton an- und die Richtung vorgaben

waren einige wenige, die bevorzugt natürlich an den Machtpositionen der Unternehmung saßen. Die (übrigens meist männlichen) Führungskräfte lebten allen anderen vor, dass es zuerst darum ging, die eigenen Interessen durchzusetzen und für sich und seines- bzw. ihresgleichen zu sorgen.

Um ihre Ziele zu verfolgen und die eigenen Erfolge zu sichern, bedienten sie sich des ganzen Arsenals der bekannten zwanghaften Machtmittel: Umschmeicheln, “Bestechen”, Eigen-PR bzw. -Propaganda, Verbreiten von Unwahrheiten und Gerüchten, Intrigen, Einschüchterungen, struktureller Stress, subtile bis unverhohlene Drohungen etc.


Das Klima, das dadurch geschaffen wurde

sorgte natürlich AUCH dafür, dass Dinge erledigt wurden. Dies sicherlich aber eher TROTZ und nicht WEGEN des Drucks. Denn es war eben kein Klima des spielerischen, kreativen Erfolgs, sondern eines des Erledigens unter Druck, Zwang und Existenzangst. Für viele in der Organisation war es deshalb auch: Ein Klima manchmal des versteckten Widerstands, meist aber des Aufsteckens, der Demotivation, des Krank-Werdens, der Depression.

Schwer zu sagen, was mehr schmerzt: Die Dramatik der anfallenden menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten für die Ausfälle. Oder die Tragödie der nicht realisierten kreativen, innovativen, wirtschaftlichen Potenziale.

Dieses Klima von individueller und struktureller Gewalt und – ja – Minderleistung ist hierzulande wahrlich kein Einzelfall. Im Gegenteil ist es in unseren Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen schon lange sehr verbreitet. Fast kann man den Eindruck bekommen, es sei der Normalfall.

Jedenfalls legen das die alljährlichen und niederschmetternden Zahlen z.B. der weltweiten Gallup-Workplace-Studie zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz (aktueller Bericht) oder auch die jährlich immer wieder aufs neue berichteten desaströsen Fallzahlen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der Krankenkassen nahe.


Es könnte sein

dass dies das Resultat einer gängigen, aber falschen Vorstellung davon ist, worum es geht, wenn wir gemeinsam wirtschaften, wenn wir uns in Firmen und Organisationen zusammenfinden, wenn wir gemeinsam etwas unternehmen und uns einem Wettbewerb stellen. Es könnte sein, dass wir deshalb weit hinter unseren Möglichkeiten bleiben, weil wir einer radikalen und ideologischen Vorstellung von Konkurrenz und Gewinn anhängen.

Diese Vorstellung geht davon aus, dass das Leben allgemein und Konkurrenz im Speziellen nicht jenes gemeinsame Spiel ist, das uns Menschen doch so sehr am Herzen liegt (und das Geheimnis unseres evolutionären Erfolges ist): Ein Spiel, bei dem möglichst viele gewinnen und möglichst wenig verlieren./1/ Im Gegensatz aber sollen wir das Leben als Kampf begreifen, bei dem es darum geht, sich mit Härte durchzusetzen und die Konkurrenten möglichst nachhaltig aus dem Feld zu schlagen.


Es ist der Kampf

um den Erfolg des Einzelnen oder der EINEN Unternehmung, des EINEN Produkts, der EINEN Idee. Ein Kampf, in dem es darum geht, sich absolut durchzusetzen und den oder die anderen, den “Gegner” oder “gegnerische Idee” zu unterwerfen. Und zwar nach dem Entweder-Oder-Prinzip: „Meine, unsere Firma, unsere Angebote, unsere Ideen über alles!“

Vielleicht ist es ja den extremen und totalitären Ideen- und Gewaltexzessen der vergangenen Jahrhunderte zu verdanken. Vielleicht nehmen wir deshalb diese Zustände mittlerweile als Normalität hin. So dass wir uns schwer tun, die krankmachende, existenzbedrohende und lebensfeindliche Dimension zu erkennen. Mit engagiertem Streben nach Erfolg, mit dem kreativen Spiel und dem echten Wettbewerb um die besten Ideen hat dies jedenfalls wenig bis nichts zu tun.


Es wird Zeit

dass wir uns wieder auf die Wortbedeutung von „Konkurrenz“ besinnen, nämlich “mit/zusammen” (con) “laufen” (currere). Wir laufen also nicht GEGEN, sondern MIT jemandem. Wir tun das also ZUSAMMEN. Ja, ein Wettbewerb klingt da an, nicht aber jener martialischer Kampf auf Leben oder Tod, als den viel zu viele Konkurrenz missverstehen.

Zwei deutsche Synonyme von Konkurrenz heißen „Wettbewerb“ und „Wettstreit“. “Wette” – ja dabei geht es auch ums Gewinnen oder Verlieren. Aber viel mehr gehts um das Spiel ums Glück mit einem gewissen, am besten nicht existenzgefährdenden Einsatz. Und unter Einsatz FAIRER Mittel (keine Manipulation oder Gewalt und Zwang, sonst ist das Wettspiel weder Wette noch Spiel, und damit wird’s uninteressant).

Es geht in der Konkurrenz nicht um Leben oder Tod. Es geht darum, das Beste herauszuholen. Für alle Beteiligten.


Müssen wir dazu „härter werden”?

Wozu? Wir wollen doch Erfolg! Wir wollen, wir müssen dazu spielen!
Sollten wir uns nicht also eher alle dringend genau daran erinnern: Dass es ums GEMEINSAME SPIELEN geht? Bei dem möglichst ALLE gewinnen und KEINER verliert?

Es steht enorm viel auf dem Spiel, wenn wir das aus dem Auge verlieren.

Wahrscheinlich ist heute dringender und wichtiger denn je, dass wir uns und die anderen daran erinnern.


Anmerkungen

  1. („Dabei sein ist alles!“ hieß es früher einmal.)

Literaturhinweise

  • Bauer, Joachim: Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus.
  • Gallup State of the Global Workplace 2021 Report
  • Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel.
  • Nowak, Martin A., Highfield, Roger: Kooperative Intelligenz. Das Erfolgsgeheimnis der Evolution.
  • Pinker, Steven: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit.
  • Sapolsky, Robert M.: Gewalt und Mitgefühl. Die Biologie des menschlichen Verhaltens.
  • Tomasello, Michael: Warum wir kooperieren.