Mittwoch, der 18. August 2021

Entweder oder? Sowohl als auch?


Wie es wohl wird? Naja, entweder so oder so. Oder sowohl so, als auch so.

Vermutlich hatten wir

als Einzelne und als Gemeinschaft noch nie so viele und so vielfältige Möglichkeiten wie heute. Unentwegt werden wir deshalb ermutigt, angeleitet, manchmal ermahnt und gelegentlich sogar handfest gedrängt, sie auch zu nutzen.



Unser Zeitgeist verlangt

dass wir alle die vielen reichhaltigen, barrierefreien und rund um die Uhr verfügbaren Angebote nutzen, die sich uns allerorten auftun. Wir wollen und sollen uns damit gefälligst selbst verwirklichen und jederzeit das Beste aus uns und unserer Welt herausholen. (Zeitgeist heißt übrigens: Wir verlangen das von uns selbst und von anderen.)

Es geht darum, unsere Fähigkeiten und Talente dauerhaft zu entwickeln und maximal zu nutzen!

Und natürlich machen wir das. Gerne sogar. Schließlich ist dies ja wohl der Inbegriff einer freiheitlichen Lebensweise, die uns freiheitsliebenden Menschen doch so wichtig ist: „Ich verwirkliche mich, also bin ich.“


Doch dieser verheißungsvolle Selbstverwirklichungs-Mechanismus der vielen Möglichkeiten hat einen Haken:

Ausgerechnet eine sehr wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Möglichkeit bleibt uns verwehrt. Nämlich einfach sein – so sein, wie wir eben sind.

Das ist nicht mehr drin. Denn wenn wir nur (erfolgreich) sein dürfen bzw. können, wenn wir alle unsere Möglichkeiten maximal nutzen, heißt das umgekehrt auch, dass wir eben nicht (erfolgreich) sein dürfen oder können, wenn wir das nicht tun.

Unser freiheitlicher Zeitgeist – zumal jener einer Leistungsgesellschaft aus Leidenschaft – wartet also mit einer ziemlich klaren Warnung auf, die sehr deutlich bei uns ankommt:

Entweder du nutzt deine Möglichkeiten. Oder…


Menschen fühlen sich in Entweder-Oder-Situationen allgemein ungut und in die Enge getrieben.

Und das zurecht. Vor allem dann, wenn es ums Ganze geht, also z.B. ihre wirtschaftliche Existenz, ihr Selbstbild oder ihre gesellschaftliche Reputation.

Steckt dieses Gefühl, diese abstrakte Existenzangst, hinter all dem vielzitierten Stress, der heutzutage ja immer spürbarer ist?

Vielleicht. Sicher ist jedenfalls, dass Menschen in solchen Zuständen dazu neigen, mit Tunnelblick unvernünftig und aggressiv zu reagieren (und auch: autoaggressiv).

Und eben genau NICHT wie uns eigentlich aufgetragen, also indem wir alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Talente und Fähigkeiten entspannt zu unserem Wohlbefinden nutzen.

Denn wir sehen in solchen Situationen nur: Entweder-oder.


Ist das der Grund, warum es für uns immer öfter „alternativlos“ zugeht?

Warum es für uns entweder Gewinner oder Verlierer gibt?

Entweder Erfolg oder (totales) Scheitern?

Entweder Wirtschaft oder Gemeinwohl?

Entweder Reich oder Arm?

Entweder richtig oder falsch?

Entweder links oder rechts?

Entweder super oder unterirdisch?

Entweder „Wir. Und zwar zuerst. Quasi über alles!“ oder „Niemand sonst“?


Freiheit und gute Entscheidungen beginnen mit mindestens drei Wahlmöglichkeiten sagt man aus gutem Grund.

Es wäre also schlau, das „Entweder-Oder“-Weltbild durch ein „Sowohl-als auch“-Konzept zu ersetzen.

Zumindest spricht einiges dafür, dass wir nur so zu sehr viel besseren Entscheidungen kommen und wirklich alle unsere Möglichkeiten nutzen.


Bei Lichte betrachtet

dürfte das auch die einzige Möglichkeit sein, unsere eigene und auch unser aller (Wahl-) Freiheit zu erhalten und etwas aus uns und unserem So-Sein zu machen. Nämlich hoffentlich das Beste.



Literatur