Wednesday March 13th, 2024

Warum tun wir uns so schwer, Probleme zu lösen? Was hilft?

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Wer sich aufmacht, ein Problem zu lösen, sollte zunächst einmal verstehen, woraus das Problem besteht. Ist doch klar. Ach ja? 


Hand aufs Herz: Wie viel Zeit verwenden wir wirklich darauf

Hindernisse und Probleme gründlich zu verstehen, bevor wir anfangen sie zu lösen?

Halten wir tatsächlich oft inne und analysieren, was uns da gerade im getakteten und durchgestylten Alltag behindert? Gehen wir den Dingen auf den Grund? Fragen wir nach den wahren Ursachen? Oder auch danach, was genau wann und wo das genau Richtige zu tun wäre? Um ein definiertes Ergebnis zu erzielen?

Stellen wir uns solche Fragen regelmäßig?

Allgemein gesprochen: Wohl weniger. Im Gegenteil sind wir schnell dabei, das Problem einzuordnen und jene Tools, Methoden und Ansätze herzunehmen, die uns Fachmännern und -frauen selbst oder sonstigen vermeintlichen Fachleuten und BeraterInnen in den Sinn kommen – weil wir immer schon damit hantieren./1/

Es hat einen Grund, warum wir mit und in schwierigen Situationen so vorgehen: Wir haben es so gelernt. Und zwar gründlich.


Bild vom Autor (DALL.E)

Seit es Schule und Ausbildung gibt

wird uns beigebracht, DEFINIERTE und KATEGORISIERTE Probleme und Situationen inklusive VORGEGEBENER LÖSUNGEN oder Lösungskorridoren auswendig zu lernen und zur richtigen Zeit anzuwenden.

EIGENSTÄNDIG Lösungen zu finden, also systematische Lösungsfindung einzuüben (zumal im Team, also GEMEINSAM) spielt – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle in unserer Ausbildung.

Methodische Ansätze, wie wir schwierige, hinderliche oder auch chancenreiche (!) Zustände SYSTEMATISCH hinterfragen können, um passende Lösungs-Ansätze UND Maßnahmen zielgerichtet einzusetzen – Fehlanzeige.

Stattdessen verinnerlichen wir (nach wie vor!): Wenn du gefragt wirst, gib die richtige, also die vorgegebene Antwort! Und zwar schnell.

DANN (und nur dann) wirst du mit guten Zensuren und beruflichem Fortkommen belohnt.

Es ist deshalb folgerichtig

dass wir uns nicht lange mit Problemanalyse aufhalten, wenn wir schwierige Situationen vorfinden. Wir tun eben, was wir können, wir wenden an, was wir kennen.

In überschaubaren, relativ einfachen bis komplizierten Bereichen ist das (ganz vielleicht) verzeihlich. Dort, wo es vergleichsweise klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen gibt und deshalb auch eine (tendenziell überschaubare) Anzahl möglicher Probleme inklusive passender Lösungsansätze.

Nur leider gibt es immer weniger solcher Lebens- oder Wirtschaftsbereiche./2/3/

Und so stehen wir immer öfter vor Phänomenen, Hindernissen, Problemen und – das ist wichtig – auch CHANCEN, die uns bis dato unbekannt sind und auf die unsere Lösungen nicht mehr passen.

Situationen, die nicht mehr nur KOMPLIZIERT, sondern jetzt auch KOMPLEX sind (und immer komplexer werden). In welchen wir nicht mehr gut vorhersagen können, was passieren wird, wenn wir etwas bestimmtes tun. Weil uns die Regeln des Ursache-Wirkungs-Spiel unbekannt sind (und auch nicht bekannt sein können, weil sie sich ständig verändern).


Bild vom Autor (DALL.E)

„Was tun?“ ist dann anders zu beantworten.

Möglichst schnell das Problem einzuordnen, um ebenso schnell vorgefertigte, „etablierte“ oder „erprobte“ Lösungen, Tools oder Methoden anzuwenden oder einzuführen, hat in einer komplexen Welt meist ungute Folgen. Weil wir so dazu neigen, Lösungen zu einem oberflächlich eingeordneten Problem zu wählen, das wir wenig, nicht oder falsch verstanden haben.

Unseren Erfolg überlassen wir so dem Zufall.

Im besten Fall. Die Gefahr – und Wahrscheinlichkeit – ist groß, dass wir auf diese Art schwierige komplexe Situationen noch schwieriger und komplexer machen. Und damit zumindest unser teilweises  Scheitern besiegeln.

Das, was wir unser ganzes Leben lernen, unsere eingeübten Erfolgs-Automatismen – obwohl in Teilbereichen sicherlich weiterhin hilfreich – lassen uns also immer häufiger im Stich. Zusätzlich und zu unserer Überraschung werden sie sogar selbst zum Problem, ohne dass wir wüssten, warum. Wir stehen uns immer öfter selbst im Weg.

Was es jetzt bräuchte, wäre so ziemlich das Gegenteil dessen, was wir verinnerlicht haben. Nämlich die Situationen und Probleme gemeinsam zu analysieren und so gut es im Moment geht zu verstehen, um Schritt für Schritt und an verschiedenen Stellen Lösungsschritte auszuprobieren, das uns unserem angestrebten Ergebnis näher bringt.

Dazu wiederum bräuchten wir methodische Ansätze und Denkwerkzeuge, die uns helfen, zu verstehen und zu planen:

  • Vor welchem Problem stehen wir? Vor einem komplizierten oder einem komplexen?
  • Woraus besteht das Problem?
  • Wo oder wodurch entsteht es?
  • Was sind die komplexen, was die komplizierten Anteile?
  • Was ist das gewünschte Ergebnis? Was kann ein gutes Resultat sein? Was ist realistisch?
  • Wo ist wie anzusetzen, um das Problem nach und nach in den Griff zu bekommen?
  • Welche Maßnahmen sind wann, wo und wie wirkungsvoll?
  • Wie nutzen wir unsere Chancen?
  • Wie gehen wir vor?
  • Wie passen wir uns an?
  • Wie wissen wir, was richtig ist?
  • Etc.

Doch genau hier verpasst uns unsere Ausbildung einen methodischen blinden Fleck./4/


Was also tun?

Wie können wir uns Problemlösungskompetenzen aneignen? Wie können wir lernen, herausfordernde komplexe Situationen mit guten Lösungs-Routinen anzugehen? Wie können wir bessere Problemlöser werden?

Natürlich gibt es dafür keine einfache Anwort.

Ein paar gute Vorschläge aber schon.

Aus Landry: Bringing scientific thinking to life. Bild vom Autor.

Zum Beispiel, könnten wir…

  1. uns erst einmal bewusst machen, dass wir beim Lösen von Problemen längst nicht so gut sind, wie wir meinen. Und schon gar nicht so gut wie wir sein müssten.
  2. erkennen, dass all das NIEMALS nur Einzelne angeht, sondern IMMER eine Gemeinschaftsaufgabe ist.
  3. lernen komplizierte und komplexe Lagen zu unterscheiden.
  4. bestehende gute Herangehensweisen für die jeweiligen Lagen kennenlernen (good, best, emerging Practices, Root-Cause-Analysis, iterative Vorgehensweisen, Agilität, Lean, inklusive möglichst vieler Tools aus den jeweiligen Bereichen…).
  5. lernen, in welchen Situationen was wie am besten einzusetzen ist.
  6. systemische und vor allem systemtheoretische Ansätze, Werkzeuge und Hilfsmittel kennenlernen, was hauptsächlich für komplexe Situationen hilfreich ist. („Die Beschreibung des Problems beschreibt die Lösung.“).
  7. auf breiter Front die Grundzüge des Lean Managements kennenlernen und beginnen zu vermitteln
  8. innerhalb von Lean besonders die so genannten Toyota Kata einüben und verbreiten
  9. wo immer wir können, darauf hinarbeiten, dass so viele Ausbildungsstätten wie mögliche (gemeinschaftliche) Problemlösung als Grundfähigkeit vermitteln, die so wichtig ist wie Lesen, Schreiben und Rechnen.

Angesichts der vielen und auch vielfältigen komplexen wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Herausforderungen fangen wir damit besser heute als morgen an.

 


Literatur

  • Brockmann, Dirk: Im Wald vor lauter Bäumen. Unsere komplexe Welt besser verstehen.
  • Dörner, Dietrich: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen.
  • Heffernan Margaret: Wilful Blindness. Why we ignore the obvious.
  • Laloux, Reinventing Organizations.
  • Landry, Sylvain: Bringing scientific thinking to life: An introduction to Toyota Kata for next-generation business leaders (and those who would like to be).
  • Lotter, Wolf: Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen.
  • Rother, Mike: Die Kata des Weltmarktführers. Toyotas Erfolgsmethoden.
  • Rubin, Rick, The Creative Act.
  • Schwaber, Ken; Sutherland, Jeff: Scrum Guide.
  • Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation.
  • Simon, Fritz B.: Einführung in die systemische Organisationstheorie.
  • Simon, Fritz: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus.
  • Snowden, Dave: Cynefin – Weaving Sense-Making Into the Fabric of Our World.
  • Taleb, Nassim Nicholas: Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen.

Anmerkungen

  • /1/ Leider haben wir uns auch angewöhnt, drängende Probleme oft völlig auszublenden („Willful Blindness“).
  • /2/ Wenn es sie jemals in solcher Reinrassigkeit gegeben haben sollte.
  • /3/ Was wiederum natürlich viel (aber längst nicht nur) mit Digitalisierung zu tun hat.
  • /4/ Und das schlimmerweise auch noch im Brustton der Überzeugung!