Mittwoch, der 14. April 2021

Die Welt ist keine Maschine. Klar. Oder?


Die Welt ist keine Maschine. Doch wenn sie das nicht ist, was ist sie dann?
Warum diese Frage wichtig ist? Weil sich daran unser aller Erfolg entscheidet.


Neulich fragte mich ein Workshop-Teilnehmer, warum ich das 20. Jahrhundert so sehr auf dem Kicker hätte. Offenbar war ich ein bisschen überengagiert zu Werke gegangen, als ich erläuterte, warum die agilen Säue, die derzeit durch so manches unternehmerische Dorf getrieben werden, aus meiner Sicht kein kurzfristiges Phänomen sein werden. Vielmehr tummeln sich ja – um im Bild zu bleiben – in unseren Dörfern immer mehr domestizierte, stattlich ausgewachsene und zudem sehr intelligente agile Hausschweine. Neben anderen nützlichen Tieren, versteht sich. Agile Organisationsformen werden also schon bald (wieder) selbstverständlicher Teil einer jeden Unternehmenskultur sein. Anders eben als im 20. Jahrhundert.


Das 20. Jahrhundert…

…war außergewöhnlich ereignisreich und hat bahnbrechende und beispiellose Entwicklungen hervorgebracht. Dazu gehört der arbeitsteilige Produktionsprozess, der Arbeitsschritte immer effizienter und automatisierter werden ließ. So konnten Massenprodukte immer schneller, profitabler und billiger hergestellt, verkauft und geliefert werden. So wurden immer mehr und immer größere Märkte erschlossen. Das führte zu viel Gutem:

Wachstum, Wohlstand, Sicherheit. Sehr viele, wenn nicht gar die meisten Menschen profitieren davon. Wer kann da schon was dagegegen haben? 

Im Windschatten dieser tollen zivilisatorischen Errungenschaften, hat es uns auch weniger gute bis richtig katastrophale Dinge beschert. Dazu gehören ganz offensichtliche Krisen wie z.B.

  • die ökologische Krise (Klimakrise, Bevölkerungsexplosion, Arten-Massenvernichtung, besinnungslose Ressourcen-Ausbeutung und -Verschwendung)
  • die politisch-wirtschaftliche Krise (weltweite Lobbykratie, Demokratie- und Autokratiekrise),
  • die gesellschaftlich-soziale Krise (Ungleichstellung, Ungleichverteilung, maximale Ökonomisierung der Lebenswelten, Aushöhlen des gemeinschaftsorientierten solidarischen Lebensprinzips, Stress und Empathieverlust).
  • Nicht zuletzt natürlich auch die vielen totalen ideologischen Massenvernichtungskriege und Genozide mit ihren unvorstellbar vielen sinnlosen Opfern./1/

Außerdem – und das ist mein Punkt hier – fallen uns die unüberschaubere Zahl an hausgemachten organisatorisch-strukturellen, kulturellen und psychologischen Krisen gerade auf die Füße.

Viele davon nehmen ihren Anfang im 19. Jahrhundert und werden verschärft in den folgenden hundert Jahren. Sie sind vielleicht kleinteiliger und weniger offensichtlich. Dennoch wirken sie sich ähnlich unselig aus. Und auch ähnlich radikal.


Die Effizienz-Logik…

…baut auf der Vorstellung und Erfahrung auf, dass die Welt nach Ursache-Wirkungs-Prinzipien funktioniert, die wir grundsätzlich erkennen und auch beherrschen können („Input ‚X‘ bringt Output ‚Y‘ hervor“)./2/ Diese „maschinenhafte“ Vorstellung von Welt führt dazu – und das eben vor allem im 20. Jahrhundert -, dass sich Menschen immer mehr spezialisieren und nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip organisieren.

So planen, befehlen und kontrollieren wir Menschen die Durchführung, meist sehr hierarchisch und seriell. Die berechtigte Hoffnung: Wenn alle Experten, also z.B. Geschäftsführung, Personalabteilung, Abteilungsleiter und schließlich die Arbeiter und Spezialisten, nur gut genug planen, ihre Arbeit tun und anschließend Durchführung und Erfolg überwachen, kann es nur klappen, Misserfolg ausgeschlossen.

Die Probleme beginnen dann, wenn wir nicht erkennen (und/oder auch nicht erkennen wollen), dass die Bereiche, in welchen wir immer schon, nur heute eben immer häufiger unterwegs sind, leider nicht so überschaubar und klar in ihren Ursache-Wirkungs-Beziehungen strukturiert sind.

Das ist deshalb problematisch, weil maschinenhafte Weltbilder zu rigiden und tendenziell radikalen Denk- und Organisationsmustern verleiten.

Denn es wird ja nur dann gut, wenn alles so ist, alles und alle so mitmachen und funktionieren, wie vorausgesehen, geplant und abgesprochen. So gesehen können Handlungsmuster, die aus einer solchen maschinenhaften Sicht entspringen, nur in aggressiven, mindestens einseitigen, häufig sogar extremen Perspektiven, Positionen, Herangehensweisen, Kommunikationen und Formen des Umgangs münden:


Koste es, was es wolle…

… es ist sicherzustellen, dass alle am Prozess Beteiligten zum festgelegten Zeitpunkt genau das und auch in der Art und Weise tun, wie und was eben zu tun ist. Gleichzeitig ist alles, was den geplanten, abgesprochenen reibungslosen Verlauf hin zum Ziel stört, unbedingt vom System fern- und aus dem System herauszuhalten. So – und nur so – lässt sich das erreichen, was erreicht werden soll./3/

So erklärt sich, dass wir uns in einer Welt voller sehr klarer hierarchischen, ultra-strengen und silogetriebenen Strukturen wiederfinden. Auch der verbreitete hemdsärmlige rauhe und tendenziell zwanghafte Umgang darin erklärt sich so, der sich oft im aggressiven (nicht selten auch autoaggressiven) Verhalten von z.B. Anlegern, Inhabern, Management, Mitarbeitenden und Kunden, BürgerInnen, Politikern oder auch LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern zeigt. Psycho-logisch folgerichtig und mit Macht wird dem Effizienzziel alles untergeordnet. Persönliche Bedürfnisse, Überlegungen und Werte sind hintanzustellen.

Selbst wenn dies hier ein bisschen überspitzt dargestellt ist, ändert dies nichts daran, dass eine solche Einstellung heute Mainstream ist, völlig normal und unangefochten.


Doch schon länger…

…ist zu beobachten, dass viele Unternehmen wirtschaftlich und noch mehr Menschen persönlich und gesundheitlich darunter leiden./4/ Es ändert sich etwas. Immer mehr Menschen scheinen zu bemerken, dass der früher so erfolgreiche rigide, zwanghafte, leistungsorientierte Tunnelblick auf die Effizienz uns heute immer mehr im guten Tun und Einspielen von guten Ergebnissen behindert. Schlimmer noch, er hindert uns sogar daran, gemeinsam zu erkennen, was viele Einzelne von uns schon spüren:

Reibungslos massenhaft Produkte zu verbreiten reicht alleine nicht mehr aus. Neben diesem im 20. Jahrhundert so wichtigen Output wird etwas anderes wichtig: Sich um den Outcome zu kümmern. 

Nur leider sind wir allgemein weder organisatorisch noch mental dafür gerüstet. Wir wissen schlicht nicht, wie das geht. Denn wir haben es nicht gelernt. Wir sind im Denken, Handeln, in der Wahl des Fokus, in den Strukturen auf Anderes, nämlich auf Effizienz gepolt./5/


Zusammenarbeit agil zu organisieren…

…sollte immer schon GENAU DAS ändern und diesen Schmerz lindern. Die organisatorischen Fehlentwicklungen ins übermäßig, sinnlos Prozesshafte und Stabile, ins nicht-nachhaltige effiziente Leisten sollen korrigiert werden. Agilität rückt aus gutem Grund gemeinsames Tun und Lernen, strukturelle Flexibilität und die Frage nach der nachhaltigen Wertschöpfung ins Zentrum.

Dennoch wird Agilität heute immer häufiger als Tool vermarktet und eingesetzt, das effiziente Leistungsorganisationen noch effizienter und leistungsfähiger machen soll (immer ein ziemlich sicheres Zeichen für einen Hype).

Trotz dieses bewussten oder unbewussten Missverständnisses – oder gerade deshalb – spricht für mich einiges dafür, dass Agilität gekommen ist, um länger zu bleiben. Denn für Agilität (und auch für mich) ist die Welt eben keine Maschine, die man bis ins kleinste Detail verstehen und planen könnte. Die Welt und ihre Phänomene sind vielmehr ein komplexer Organismus mit einem Eigenleben. Und so sollten wir sie auch behandeln.

Zum Beispiel indem wir uns organisatorisch darauf einstellen. Zumindest, wenn wir erfolgreich sein wollen, ist es schlau, das zu tun.


Dieser Text erschien zuerst am 9. März 2020 auf www.teamworkblog.de.



Anmerkungen

/1/ Die auch nicht eben kriegsscheue Welt vor dem 20. Jahrhundert hätte sich diese Ausmaße in ihren allerallerschlimmsten Albträumen nicht vorstellen können.

/2/ Dieses Denken ist spätestens seit der Aufklärung verbreitet, als die modernen Wissenschaften systematisch begannen, die Welt in ihren Zusammenhängen zu erforschen und zu kartographieren. Heute würde wohl selten jemand bestreiten, dass es Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt, die man in abgeschlossenen, überschaubaren Bereichen erkennen und entsprechend managen und organisieren kann.

/3/ Gelingt uns dieses zwanghafte Künststück, sprechen wir freundlich und milde von „stabilen Prozessen“.

/4/ Siehe jeden beliebigen Krankenkassen-Gesundheitreport der letzten Jahre. Oder die hysterische Design-Thinking-Welle. Auch die verzweifelten Versuche der Betriebe, spaßhafte New Work-Arbeitsbereiche einzurichten. Und die „Agilitäts-Schulungswelle“. Usw.

/5/ Die Dinge sind richtig zu tun. Was die richtigen Dinge zu tun sind, entscheiden andere, Lehrer, Eltern, Manager, Kunden zum Beispiel.


Literatur