Donnerstag, der 17. November 2022

Gemeinsame Unternehmungen werden nur gemeinsam gut


Menschen tun sich z.B. in Firmen, Teams oder Vereinen zusammen, weil sie gemeinsam mehr erreichen können als alleine: „Gemeinsam sind wir stark!“ Aber warum ist das eigentlich so?



Gemeinsam sind wir stark?

Im heutigen Firmenalltag könnte man auf die Idee kommen, dass wir eben gerade nicht nach dieser Maxime leben.

Denn auch wenn New Work und Agile ein kleines bisschen frischen Wind in so manche muffige Machtorganisation bringt: Nach wie vor wollen wir allgemein an die Stärke der Einzelnen glauben, die wir entsprechend fördern.

Zum Beispiel durch regelmäßige Gespräche unter vier Augen, individuelle Zielvereinbarungen und Anreize, zugeschnittene Karriereangebote, Konkurrenzmentalität.

Das Streben nach Fortkommen, Selbstverwirklichung und Erfolg der einzelnen MitarbeiterInnen ist Fokus der Personalentwicklung und der ManagerInnen (auch der vielen SelbstmanagerInnen unter uns, wenn wir ganz ehrlich sind).

Gemeinsam sind wir also stark?


Naja, schon irgendwie.

Aber eben nur, wenn alle oder zumindest möglichst viele möglichst stark sind. Wo dies nicht der Fall ist, haben die „Starken“ die Schwachen mitzuziehen.

Das ist die vorherrschende Organisationskultur, an die wir heute glauben.

Doch auch wenn wir ganz langsam bemerken, dass wir damit an Grenzen stoßen, wollen wir Organisationen doch noch immer als Ansammlung, als Summe des individuellen Know-Hows und der individuellen Leistungsfähigkeit verstehen:

Je stärker und besser ausgebildet jeder ist, desto besser für die Firma, die Abteilung, das Team.

Deshalb ist es für jede Einzelne und jeden Einzelnen wichtig, möglichst stark und gut zu sein (siehe z.B. Fortbildungsmarathon, MBAs etc.) und dies auch zu bleiben (siehe Trends zum „lebenslangen Lernen“ oder zur „Resilienz“).



Und klar: Für den gemeinsamen Erfolg

spielen die Fähigkeiten der Beteiligten natürlich eine sehr wichtige Rolle. Wer würde z.B. ein Software-Projekt mit Menschen starten, die nichts von Programmieren verstehen?

Gleichzeitig spricht aber auch einiges dafür, dass es nicht ausreicht, nur möglichst viele FachexpertInnen zu versammeln.

Denn Know-How ist zwar wichtig. Aber für Erfolg braucht es mehr. Nur: Was?


Wenn eine Gruppe von Menschen

nicht allein durch die Ansammlung von hervorragenden einzelnen Leistungen gut oder leistungsstark wird, wodurch dann?

Die Antwort klingt banal, es macht aber durchaus Sinn, sie sich immer wieder einmal vor Augen zu führen:

Dadurch, dass mehrere Menschen gleichzeitig (!) unterschiedliche (!) Dinge tun können.

Während in einer Firma z.B. die Buchhaltung gerade Rechnungen schreibt und Geld eintreibt, kann der Vertrieb neue Kunden gewinnen, ein Beraterteam einem Bestandskunden helfen und die Geschäftsführung bei der Bank einen neuen Kredit beantragen. Das alles zur selben Zeit!

Einzelkämpfer sind hier sehr deutlich im Nachteil. Sie können diese Arbeiten nur nacheinander erledigen.


Ein anderer, sehr wichtiger und entscheidender Vorteil

ist, dass Organisationen – im Gegensatz zu Einzelpersonen – auch paradoxe, gegenläufige, teilweise auch widersprüchliche Dinge tun können:

Während der Vertrieb und das Marketing schon längst dabei sind, ein Produkt zu verkaufen, kann die Entwicklungsabteilung gerade erst anfangen zu rätseln, wie sie das Produkt um alles in der Welt überhaupt und dann auch noch in diesem irrsinnigen Zeit- und Budgetrahmen hinbekommen kann.

Das – und nicht etwa die schiere Menge an Menschen – macht uns gemeinsam leistungsfähiger als Einzelpersonen.

Wer diese Vorteile maximal ausspielt, folgt zwei wichtigen Erkenntnissen:

Gute Absprachen und Zusammenarbeit sind wichtiger als effizientes Handeln von einzelnen Experten.


Wenn der Hauptvorteil gemeinsamen Handelns tatsächlich ist

dass man unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig erledigt, dann hat natürlich jenes Team die Nase vorn, das sich gut abspricht und zielgerichtet Entscheidungen trifft.

Dafür kann in Wahrheit keiner alleine die Verantwortung tragen. Kein/e GeschäftsführerIn oder auch kein einzelner Projektmanager, kein Lenkungsausschuss oder Führungskreis. Auch z.B. eine Projektmanagement-Methode alleine ist nicht ausreichend.


Und gänzlich naiv und fahrlässig handelt

wer darauf vertraut, dass sich die Dinge von alleine regeln. Also darauf hofft, dass die vielen gut ausgebildeten ExpertInnen schon irgendwie von selbst rechtzeitig die richtigen Dinge in die Wege leiten.

Organisation (und auch Erfolgsstreben) ist eben eine Aufgabe, an der explizit möglichst viele, am besten ALLE Mitglieder einer Unternehmung beteiligt werden und für die auch möglichst viele, am besten alle die Verantwortung tragen (können).

Dafür braucht es im Team entsprechende Kompetenzen und Strukturen. Und vor allem: Eine entsprechende Haltung.


Und zwar eine

die Konflikte als unvermeidbar akzeptiert und sie sogar begrüßt. Denn der Streit um den richtigen Weg ist eine Chance, zu lernen und zu wachsen.

Organisationen leben davon, gleichzeitig, z.T. Widersprüchliches zu tun. Das ist immer mit der Frage verbunden: Was ist kurz-, mittel- und langfristig am sinnvollsten zu tun?  Daraus ergeben sich IMMER Konflikte, das muss so sein.


Ein guter Umgang damit

und mit den damit verbundenen aufkommenden Ambivalenzen bringt den entscheidenden Vorteil, weil er die Kräfte der Organisation zielgerichtet bündelt.

Und: Ein guter Umgang mit Konflikten ermöglicht erst die konstruktiven Lernerfahrungen, auf die das Team aufbauen kann.

Leistungsfähige Organisationen lassen deshalb die Entweder-Oder-Welt hinter sich (Wahr-Falsch, Gut-Böse, Erfolg-Scheitern, Deal-No-Deal, Experte-Laie, Job-Entlassen, Meinung sagen-Karriere verbauen etc.).

Sie arbeiten stattdessen mit ziel- und lösungsorientierten Multiperspektiven, die tolerant sind und sich in Auseinandersetzungen eben nicht in ihrer jeweiligen Existenz bedrohen („Wer nicht für mein Argument ist, ist gegen mich.“, „Wer nicht spurt, der fliegt!“, „Wer nicht agil wird, der wird gefeuert.“).


Für das Erreichen gemeinsamer, also auch unternehmerischer Ziele

reichen also viele motivierte Menschen oder ausgezeichnete Fachleute alleine nicht aus. Schon gar nicht, wenn sie eine eigene, egozentrische Agenda verfolgen und einen Tunnelblick auf ihre eigenen, persönlichen Ziele haben.

Erfolg erzielen Gruppen von Menschen, wenn sie ihr unterschiedliches persönliches Wollen in einem gemeinsamen, übergeordneten Ziel bündeln, ihre individuellen Fähigkeiten und Talente im Sinne dieses gemeinsamen Ziels organisieren und mit den zwangsläufig aufkommenden Konflikten gut umgehen, also konstruktiv, wertschätzend und fair.

Dann sind wir Menschen gemeinsam stark. Denn so können wir mehr als die Summe der einzelnen Teile sein.


Wir Menschen wissen das sehr genau.

Denn es ist das Erfolgsmodell der Evolution. Und vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb die aktuell vorherrschenden linearen Hierarchien gerade von agilen Organisationsformen herausgefordert werden. Sie bauen auf Selbstorganisation von Teams auf.

Merken wir vielleicht jetzt endgültig, dass die Strukturen, mit denen wir bislang hierzulande unseren Alltag organisieren, Erfolg und Zufriedenheit immer häufiger und im großen Stil verhindern? Dass wir mit den individualistisch-leistungsorientierten, dabei hochgradig hierarchischen und also auch tendenziell zwanghaften Strukturen an Grenzen stoßen?


Mit anderen Worten

Wird es Zeit, sich neu zu organisieren? Sollen wir uns wieder darauf zurückbesinnen, was uns als Menschen immer schon stark gemacht hat, nämlich die Gemeinschaft?

Der allgemeinen Zufriedenheit und auch dem wirtschaftlichen Erfolg könnte es zuträglich sein. Für mich sind das zwei sehr gute Gründe, das gemeinschaftliche Experiment zu wagen.



Literatur & Links