Freitag, der 6. August 2021

„Was ist wichtig?“ – Wie wir gute Entscheidungen treffen


Am liebsten sind wir gut und erfolgreich. Dafür müssen wir buchstäblich jede Sekunde die Frage beantworten, was aktuell zu tun ist. Wie machen wir das eigentlich? Warum entscheiden wir wie wir entscheiden? Wie treffen wir maximal gute Entscheidungen?


Allgemein halten wir Menschen uns viel darauf zugute

vernünftig und rational entscheiden zu können. Im evolutionären Wettstreit scheint unsere Fähigkeit zu überlegtem und eben nicht instinktivem Handeln der entscheidende Vorteil zu sein./1/

Doch angesichts der tausenden von Entscheidungen, die wir tagtäglich zu treffen haben, und dem damit zusammenhängenden Zeitdruck sind zumindest Zweifel angebracht, ob wir tatsächlich stets so überlegt und souverän handeln (können), wie wir uns das gerne einreden.



Es könnte alles so einfach sein. Isses aber nicht.
(Die Fantastischen Vier)


Aus der Psychologie, der Soziologie und den Neurowissenschaften wissen wir heute:

Was für uns und andere grundsätzlich im Leben wichtig ist und gut funktioniert, lernen und verankern wir sehr früh, teilweise sogar schon vorgeburtlich bis zum frühen Kindesalter (ca. zehn Jahre).

In dieser Zeit wird die emotionale und neurobiologische Basis für unsere Entscheidungen und unser Tun gelegt: Was ist wichtig? Was ist gut, was schlecht? Was gilt es anzustreben, was zu vermeiden? Worauf haben wir zu achten? Wie gehen wir am Besten vor? Wie umschiffen wir welche Fallen?


„Wir sehen, dass das Unbewusste viel umfassender ist als das Bewusstsein und uns in unserem Handeln in den alltäglichen, aber auch in den ganz entscheidenden Dingen unseres Lebens stärker bestimmt als das Bewusstsein.“
Gerhard Roth


All diese Fragen lernen wir uns zu beantworten

indem wir ein (unbewusstes) wechselhaftes Spiel betreiben zwischen Beobachtung, Nachahmung, Rückmeldung und Anpassung. Entscheidend hierbei ist vor allem, was die Eltern (auch jene, die zeitweise oder dauerhaft nicht da sind) in Bezug auf uns, auf sich und auf andere tun (oder nicht tun) und sagen (oder nicht sagen).

Doch auch, was wir von und mit unseren sonstigen (Autoritäts-) Personen in unserer unmittelbaren Nähe erleben, sehen und hören – von KindergärtnerInnen, LehrerInnen, Geschwistern, Freunden, deren Eltern, anderen Erwachsenen oder auch Institutionen – verinnerlichen wir.


Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!
(Johann Wolfgang von Goethe)



Auf diese Art lernen wir

was in der (unserer) Welt allgemein und für uns im Speziellen gilt./2/ Und zwar nach einem positiven Evidenz-Prinzip: „Wenn du es als erfolgreich erlebt hast, tue mehr davon.“

Nach und nach bilden sich so die grundsätzlichen Welt- und Menschenbilder, denen wir vertrauen und folgen.

Gleichzeitig entwickeln wir unsere konkrete Idee davon, wo wir in der Welt stehen, wie wir in ihr (gut) überleben, was wir von unserem Leben erwarten können und dürfen. Und umgekehrt (Weltbild, Selbstbild)./3/


Aufgrund also unserer unzähligen alltäglichen spezifischen und persönlichen (und überwiegend unbewussten!) Erfahrungen

mit uns und unserem Umfeld finden wir emotionale (nicht rationale!) Antworten auf die folgenden Fragen, die wir als Reiz-Reaktions-Muster verinnerlichen:

  • Was soll sein? Für mich und für andere? (Erwartungen, Vision, Sinn)
  • Was ist wichtig? Für mich und für andere? Generell und situativ? (Werte)
  • Was brauche ich und andere (unbedingt)? Was darf ich verlangen? Wer darf was von mir verlangen? (Bedürfnisse)
  • Wer will/soll/darf ich sein? (Rollen)
  • Was will ich für mich und mit anderen erreichen? Gibt es übergeordnete Ziele? Welche? (Ziele)
  • Wie erreiche ich/erreichen wir das? (Projekte, Vorhaben, Aufgaben)
  • Welche Stärken, Schwächen, Talente, Kompetenzen habe ich/haben wir? Wer hilft mir/uns? (Kompetenzen, Fähig- und Fertigkeiten) /4/

Alle „Erfolgsmuster“ fügen sich zu einem sehr individuellen Bewertungs-, Handlungs- und Motivationssystem zusammen, das uns für den Rest unseres Lebens begleitet und uns sichere Orientierung für unsere großen und kleinen Lebensentscheidungen gibt.


Wohlgemerkt:

Dies alles geschieht auf unbewusst-emotionale Art. Und eben nicht bewusst und vernünftig!

Denn es soll uns verlässlich und schnell unterstützen und im Zweifel vor Unheil bewahren. Deshalb ist es auf routinierte, automatisierte Schnelligkeit getrimmt. Langwieriges, vernünftiges Abwägen ist da hinderlich und nicht vorgesehen: Better save than sorry!


Denn mit dem Bewusstsein fängt alles an, und nur durch das Bewusstsein hat etwas Wert.
(Albert Camus)


So erklärt sich

dass spätere, erwachsene Erfahrungen vor allem in emotionalen, angespannten oder hektischen Situationen nicht zurate gezogen werden, selbst wenn sie besser und hilfreicher wären.

Manch eine konfliktreiche oder stressige Situation nimmt so z.B. kindische Züge an. Statt mit den vielleicht besser passenden, eben „erwachsenen“ Mustern zu (re-)agieren, bewerten und lösen wir die Situation mit jenen Mustern, die immer schon da waren und gut funktioniert haben.

Sie haben schlicht die längere und dadurch subjektiv bessere „Erfolgsbilanz“.


Wie können wir also sicher sein, stets möglichst gute Entscheidungen für uns und andere zu treffen?

Indem wir uns unsere frühe Geschichte klar machen, wissen, woher wir kommen und unabhängig davon (!) beantworten, was für uns (und nicht z.B. aus Sicht unserer damaligen Vorbilder) heute und in Zukunft sein soll: Was ist uns selbst wirklich (!) wichtig? Was ist – jetzt – unsere „persönliche Wertschöpfung“?

Und indem wir achtsam dafür sorgen, zu jeder Zeit in der möglichst besten Verfassung zu sein.


So bleiben wir souveräner Herr bzw. Frau

aller (!) unserer Erfolgsmuster, der alten und der „erwachsenen“./5/

Das eröffnet uns die besten Chancen, zu erreichen, was wir wirklich erreichen wollen.



Anmerkungen

/1/ Im Vergleich ist im menschlichen Gehirn das „Vernunftzentrum“, wo die Logik und die Sprache verortet und verarbeitet sind, besonders groß und ausgeprägt.
/2/ Wir wählen diese Menschen als Vorbild für gute Lebensführung, weil wir zunächst keine andere Wahl haben und wir von ihnen abhängig sind. Es gibt ja niemand anderen für uns, und sie sichern buchstäblich oder im übertragenen Sinne unsere Existenz. Doch auch aus anderen, inhaltlichen Gründen ist sinnvoll, sich an diesen Vertrauenspersonen auf- und auszurichten: Offenkundig wissen sie, was wichtig und richtig ist und wie der Hase läuft. Wie sonst hätten sie bis jetzt überleben und in diesem Sinne also erfolgreich ihr Leben bestreiten können?

/3/ Dadurch, dass es im Zusammenspiel mit unserem persönlichen Umfeld entstanden ist, ist es in aller Regel auch sozial und kulturell authentisch und „kompatibel“. Es wird deutlich, dass es sich in interpesoneller wie auch in sozialer Hinsicht um ein hochkomplexes System handelt. Denn es besteht eine unüberschaubare Zahl an wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten.
/4/ Wer beispielsweise in einer status- und leistungsorientierten (also tendenziell zwanghaften) Kultur heranwächst, könnte eher verinnerlicht haben, dass es darauf ankommt, möglichst immer zu gewinnen und zu wachsen, dass Anerkennung nur gegen gute, eigentlich aber exzellente Leistung zu erwarten ist, dass es Fehler oder gar Scheitern unter allen Umständen zu verhindern gilt etc. Solche Menschen könnten bei Ihren kleinen und großen Entscheidungen des Alltags dazu neigen, lieber noch eine Schippe drauflegen, z.B. lieber noch einmal über die Präsentation drüber zusehen, lieber die Extra-Meile zu gehen. Von nix kommt nix. Und sicher ist schließlich sicher, Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser, usw. Wer dagegen in einer z.B. gemeinschaftlich ausgerichteten, solidarisch geprägten Vertrauenskultur aufwächst, die an die positive Selbstmotivation von Menschen glaubt, wird andere Ziele formulieren und sie auch anders verfolgen. Ebenso erfolgreich  sicherlich, nur eben auf einem anderen Weg und mit anderen Mitteln.

/5/ Das ist dann der Fall, wenn Anforderungen und Lösungskompetenz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Das kann auch in Situationen positiven (!) Stresses sein. Negativer Stress ist maximal hinderlich dafür.


Literatur & Links