Mittwoch, der 28. Juli 2021

Tooling #3: Die vier Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Veränderung


Eine schlechte Nachricht für Menschen, die es gerne ruhig und konstant haben. Also für ALLE (gesunden) Menschen: Nichts ist so beständig wie der Wandel! Diese triviale Tatsache gilt heute besonders. Üben wir uns also besonders in radikaler Akzeptanz und eignen wir uns also das notwendige Handwerkszeug an. Was braucht es für erfolgreiche Veränderungsarbeit?


Change Agents aller Art

z.B. UnternehmerInnen, ManagerInnen, ProjektmanagerInnen und Scrum MasterInnen, kurz: alle, die viel mit Veränderung und Veränderungsmanagement zu tun haben, mögen gelegentlich daran zweifeln. Dennoch: Grundsätzlich ist möglich, sich und andere Menschen zu verändern. Das ist die gute Nachricht.

Die weniger gute ist, dass es für einen (erfolgreichen) Wandel Voraussetzungen braucht, die nicht immer gegeben und die erfahrungsgemäß noch seltener bekannt sind. Das gilt für Veränderungen von einzelnen Menschen genauso wie für Veränderungen in und von Gruppen von Menschen. Also z.B. von Teams, Abteilungen, Sparten, Firmen, Branchen, Gesellschaften…

Schön ist, dass bei beidem relativ schnell Abhilfe geschaffen werden kann. Denn Voraussetzungen lassen sich schaffen – wenn man weiß, welche das sind. Und strenggenommen ist genau DAS der Job von Change Agents. Hören wir also auf, uns zu beklagen, und legen los:



Grundvoraussetzungen für Veränderung


1. Persönlichkeit/persönliche Kompetenz und Bereitschaft zu Veränderung

Es mag trivial sein, dennoch wird in unserer zwanghaften, gleichmachenden Welt oft übersehen, dass Menschen Temperamente, Erfahrungen und Vorlieben haben. Dasselbe gilt auch für Gruppen von Menschen und ganze Firmen.

Deshalb stehen manche Menschen Veränderungen grundsätzlich offener gegenüber als andere Menschen. (Was sie NICHT zu besseren Menschen macht!) Wer Veränderungen anstrebt, sollte sich diese vermeintlich triviale Tatsache STETS bewusst machen und vor allem in den Planungen berücksichtigen. Am besten verschafft er/sie sich deshalb schon im Vorfeld einen möglichst genauen – definierten – Überblick darüber:

  • Wie stehe ich, stehen wir, stehen die Menschen und auch die Organisation, die sich verändern sollen, GRUNDSÄTZLICH Veränderungen gegenüber?
  • Bin ich, sind wir, ist die Organisation grundsätzlich eher vorsichtig, ängstlich oder auf Stabilität gepolt?
  • Oder doch auch ein bisschen abenteuerlustig und eher unternehmerisch ausgerichtet mit Lust am Entdecken?
  • Wie viel Erfahrungen haben die Menschen in Veränderungsvorhaben?
  • Welche Grundkompetenzen beim Thema Veränderung vorhanden?
  • Mit wieviel Enthusiasmus und/oder Ängsten bzw. Widerständen ist wo und bei wem zu rechnen?

Nur so lassen sich Ansprache, Erwartungen und Motivationen zielgerichtet managen.


2. Leidensdruck/Gefühl der Dringlich- UND Wichtigkeit

Ja. Es sieht oft anders aus. Dennoch ist der Mensch (irgendwie) ein vernunftbegabtes Wesen. Heißt: Menschen tun Dinge, wenn sie vernünftig sind. Vernunft ist jedoch – und da sind sich Neurobiologie und Psychologie einig – keine allgemeingültige, objektive und vor allem keine kognitive Kategorie:

Vernunft ist eben KEINE Angelegenheit für den KOPF, zumindest nicht für ihn alleine. Sondern VOR ALLEM ist es eine EMOTIONALE, eine Bauchsache. Und schlimmer noch: Jede Kopf-Bauch-Einheit ist anders!

Was aber jeden Menschen gleichermaßen ausmacht, ist, dass er IMMER den eigenen Energiehaushalt optimiert. Das führt dazu, dass sich Menschen BEI ALLEM, was sie tun, fragen: MUSS DAS JETZT SEIN? Ist das jetzt so wichtig? Ist das jetzt so dringend? So, dass ich/wir JETZT aktiv werden und Zeit und Energie investieren?

Erst, wenn auf diese hochgradig individuelle Fragen gute Antworten folgen, also echte EMOTIONALE Beweg-Gründe vorliegen, werden Menschen sich in Bewegung setzen.


Wichtig

Oft heißt es, dass Menschen erst tätig werden, wenn „der Leidensdruck hoch“ genug ist. Es also z.B. unangenehme Dinge zu vermeiden gilt. Oder eine Gefahr oder eben ein Leid abzuwenden, das sie persönlich (der gemütliche Fernsehabend!) oder ihre soziale Gruppe beeinträchtigen könnte (also z.B. ihre Projektteam: „Das Projektziel ist in Gefahr!“).

Dieser Denkansatz könnte allerdings dazu verleiten (und tut dies auch oft genug), dass es für Veränderung sogar unabdingbar ist, den Leidensdruck zu erhöhen. Eben so lange, bis Menschen sich dann verändern. Ich halte solche Maßnahmen für überflüssig und gefährlich und kontraproduktiv. Menschen kann man Dringlich- und Wichtigkeit aufzeigen OHNE Ihnen mit Zwangsmaßnahmen Leid zuzufügen.


3. Belohnungserwartung  (What’s in it for me?)

Selbst, wenn Menschen erkannt haben, dass es dringend und wichtig ist, zu agieren, stellen sie sich vorher noch die Frage: What’s in it for me? Was bringt mir die Veränderung? 

Das ist noch einmal ein bisschen etwas anderes als die oben behandelte Frage des allgemeinen Leidensdruck. Hier geht es darum, dass Menschen sich dir Frage beantworten, was die Veränderung für sie höchstpersönlich bedeutet. Das tun sie, um zu entscheiden, wie viel sie sich engagieren werden, um die zu verändernden Routinen zu überwinden und sich zu verändern.  Der Neurobiologe und Psychologe Gerhard Roth schreibt hierzu:

„Eine ausreichende Höhe der Belohnung ist jedenfalls nötig, um Gewohnheiten zu überwinden, die Veränderungen entgegenstehen.“

Auch das ist eine wichtige Erkenntnis für Change Agents. Vor allem in Verbindung mit der Erkenntnis, dass auch dies hochindividuelle Antworten erfordert, vor allem jene, die sich Menschen selbst geben und nicht von Management oder anderer Seite kommen können. (Was nicht heißt, dass man nicht von Außen Einfluss nehmen kann.)


4. Langer Atem und Gelduld

Veränderung bedeutet, Denk- und Handelsroutinen zu ändern. Neurobiologisch – und auch organisatorisch – bedeutet das NICHT, im Laufe des Veränderungsvorhabens Denk- und Handelsmuster auf irgendeine Art und Weise umzuprogrammieren. Vielmehr werden die ALTEN Muster mit NEUEN Mustern überlagert.

Das macht gerade hinsichtlich der Planung eines Veränderungsvorhabens einen sehr wichtigen Unterschied. Denn es ist der Grund, warum Menschen dazu neigen, eben nicht die neuen Muster zu verfolgen, sondern vielmehr wieder in die alten Muster zu verfallen. Neuen und alte Muster stehen nämlich im (emotionalen) „Vernunftswettbewerb“.

Und weil Menschen bei allem, was sie tun, psychische und körperliche Sicherheit anstreben und schlicht ein gutes Gefühl bei dem haben wollen, was sie tun, haben alte Muster hier einen großen Vorteil.

Denn sie sind „erfolgserprobt“. Menschen wissen einfach, was sie zu erwarten haben, wenn sie sie anwenden. Bei den neuen Routinen ist dies nicht der Fall, weil sie sich im Alltag noch nicht so oft beweisen konnten. Also werden sie – vor allem in angespannten, stressigeren Phasen – weniger berücksichtigt: Sicher ist schließlich sicher.

Wichtig ist, zu erkennen, dass das ein archaisches menschliches Muster ist. Also: Ein Automatismus.

Außerdem ist wichtig, anzuerkennen, dass das KEINE Absicht ist. Schon gar keine böse. Wenn überhaupt geschieht dies mit den besten Absichten.

Denn bei Lichte betrachtet ist es sogar sehr schlau, auf Bewährtes zu vertrauen, auch wenn es freilich im Veränderungsvorhaben das genaue Gegenteil vom gewünschten Effekt ist. Schließlich wollen wir die Dinge ja verändern. Eigentlich.


Das ist der Grund

warum Veränderungen Zeit brauchen und nicht von heute auf morgen stattfinden KÖNNEN. Menschen brauchen Zeit, die neuen Muster zu etablieren und einzuüben. Mit allen Fehlern und Rückschlägen, die das mit sich bringt.

Und weil die Sachlage mal so ist, wie sie ist, und Menschen zudem noch zu Tunnelblick neigen, ist es wichtig, dass man externe Begleitung hat, die auf Fehlentwicklungen hinweist und sie zu korrigieren hilft. Zumindest aber ist dafür zu sorgen, dass Menschen lernen, sich selbst zu überprüfen und wieder in die gewünschte Richtung zu agieren.


Wenn wir diese vier Voraussetzungen im Blick behalten

können Veränderungen gelingen. Denn wir haben es IMMER mit einzelnen Persönlichkeiten zu tun, die Interesse am gemeinsamen Erfolgen haben. Die allerdings müssen zu den grundsätzlichen individuellen Zielen passen. Das erfordert die Lust, herauszufinden, was das im Einzelnen bedeutet. Also einen wohlwollenden, positiven, motivierenden und wertschätzenden Umgang miteinander.
Und eben Geduld und eine gewisse Frusttoleranz bei allen, die für die Veränderung verantwortlich sind und dafür kämpfen. Ihre Motivation für die Veränderung ist nämlich – zwangsläufig – eine völlig andere als die ihrer KollegInnen. Das wiederum hängt viel mit dem Problem der zwei Geschwindigkeiten zusammen. Doch darüber dann ein andermal…


Literatur