Sie sind dazu verdonnert worden, agil(er) zu arbeiten und fragen sich nun, wie das gehen soll? Sie sind nicht allein. Neulich bin ich zum Beispiel gefragt worden: Das größte Problem ist oft die mittlere Führungsebene: Wie nehme ich die mit, wenn das Thema “abteilungsübergreifende Teams” angegangen werden soll? Wie und wo fängt man an? Sollte man das Organigramm ändern?
Sollte man das Organigramm ändern?
Ja. Beziehungsweise Jein.
Klar ist: Macht sich eine Organisation auf, wirklich agil zu arbeiten, wird das Auswirkungen auf das Organigramm haben. Denn das ist ja genau, was erreicht werden soll. Durch das Arbeiten in interdisziplinären Teams machen wir uns flexibler, schneller, marktnäher. Und auch rentabler.
Das liegt daran
dass die auf mächtige Entscheider(kreise) ausgerichteten gestaffelten Entscheidungskaskaden in den Macht- und Statushierarchien bzw. in den ultra-arbeitsteiligen (silogetriebenen) Organisationen aufwändiger, langsamer und deshalb teuerer sind als die Vorgänge beim agilen Wettbewerber. Der ist einfach kundennäher, schneller und nicht nur günstiger, sondern viel rentabler.
Und dadurch attraktiver für Kunden, Investoren und Mitarbeitende.
Unabhängig, wie viel Sinn die Beschleunigung unseres Lebens wirklich macht:
Wer hat in unserer Welt der Zehn-Minuten-Lieferdienste noch Verständnis dafür, länger als nötig warten zu müssen?
Wir wundern und ärgern uns ja selbst
ja, es macht uns buchstäblich krank, dass wir in unseren endlosen, zähen, langeweiligen und überflüssigen Jour Fixen nichts voranbringen und so lange brauchen, um wichtige Entscheidungen zu fällen. Warum braucht der Projektleiter, das Management, der Lenkungsausschuss nur so lange für Entscheidungen? Wann können wir endlich weitermachen?
Bei all dem vergessen wir allerdings gerne, dass das, was uns heute – zurecht! – als ein entscheidender Wettbewerbsnachteil erscheint, in Zeiten effizienter Kostenführerschaft DER ENTSCHEIDENDE Vorteil war. Die hierarchische Form von Organisation und Entscheidungsfindung hat Firmen also bis vor kurzem SEHR ERFOLGREICH gemacht (und tut es in gewissen Bereichen auch noch heute).
Für diesen Erfolg sorg(t)en zu einem nicht unerheblichen Teil
vor allem jene Führungskräfte im mittleren Management, die heute oft und wenig schmeichelhaft als Bremser, ja sogar als Lehmschicht diskreditiert wird.
Sie werden manchmal zurecht, oft aber auch unfairerweise dafür kritisiert, dass Sie ihren Job gewissenhaft erledigen. Auch wenn das heute natürlich immer öfter ein Problem darstellt: Ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass der Betrieb stabil, effizient und auch ohne große Veränderungen läuft. Alles, was das System verändert, haben sie sorgfältig zu prüfen und nur in absolut sicheren Schritten zuzulassen.
Heute brauchen wir jedoch mehr und schnellere Flexibilität.
Die Organisation ist umzubauen, jeder hat ein bisschen etwas anderes zu tun. Genau dazu will Agilität beitragen.
Für einen agilen Wandel ist deshalb wichtig,
Menschen im mittleren Management wertschätzend gegenüberzutreten und anzuerkennen, welch wichtige Rolle sie bisher gespielt haben und welche Verdienste sie bislang für die Unternehmung gleistet haben.
Und zwar auch dann, wenn das manchmal schwerfällt. Schließlich erledigen ManagerInnen in hierarchisches Command-and-Control-Organisationen auch heute noch oft ihren Job mit sehr rigiden Methoden, die sie oft als wandlungsunfähige Betonköpfe erscheinen lässt.
Die allermeisten mittleren ManagerInnen, mit denen ich zu tun habe, sind allerdings gar keine störrischen Esel.
Sondern loyale, engagierte ausgewiesene Fachexperten, die nicht selten schon lange wissen oder zumindest ahnen, dass sich etwas ändern muss. Ihnen fehlen jedoch oft die Möglichkeiten, genau das anzugehen. Denn ihnen fehlen die Ideen, die Sprache, die Foren oder die Ansätze dazu. Geschweige denn die Zeit. Und: Vom expliziten Auftrag ihrer Chefs habe ich noch gar nicht gesprochen (inklusive der dazu gehörenden Ressourcen).
Zu all dem fehlt auch noch der persönliche Grund.
Mittlere ManagerInnen – auch jene, die die Notwendigkeit des Wandels erkennen – finden sich in einem persönlichen, existenziellen Dilemma wieder: Wenn Managementaufgaben, die ihre bisherige Rolle rechtfertigen, weitestgehend von selbstorganisierten Teams übernommen werden: Wo bleiben sie in diesem Spiel?
Im agilen Wandel haben sie also persönlich
sehr existentielle Interesse. Und sie haben strukturell betrachtet eine sehr schwierige, ja, die wahrscheinlich schwierigste Position. Sie haben mit am meisten Verantwortung (z.B. dafür, dass der Laden weiter rund läuft). Außerdem haben sie persönlich am meisten zu verlieren. Nämlich ihre materielle und ideele Existenzgrundlage. Wir sprechen über Geld, Status, Einfluss und schlicht: Macht.
Und in dieser Lage befinden sie sich, ohne dass sie etwas dafür können. Jede und jeder befrage sich selbst: Wie würde ich unter solchen Umständen (re-) agieren?
All das ist miteinzubeziehen in die Frage, wie “man” das mittlere Management in einem agilen Wandel “mitnehmen kann”. Zumindest dann, wenn der Wandel möglichst gut und ohne große Verluste vollzogen werden soll.
Ich plädiere dafür
den vermeintlichen und sicher auch tatsächlichen (!) Widerstand des mittleren Managements nicht als Problem, sondern als Chance zu betrachten. Schließlich beweist der Widerstand von Menschen verlässlich, dass ihnen auf die eine oder andere Art etwas an der Organisation liegt und sie sich dafür engagieren wollen.
Für einen erfolgreichen organisatorischen Wandel brauchen wir solche Menschen. Gerade die KollegInnen des mittlern Managements! Wegen ihrer besonderen Erfahrung, Markt- und Fachkenntnisse. Und auch wegen ihrer vielfältigen Möglichkeiten, die Strukturen zu gestalten (also: Wegen ihrer großen strukturellen Macht). Die KollegInnen des mittleren Managements sind vielleicht nicht einzigen, aber die wesentlichen Spieler, die die agile Idee mit Energie in die Organisation tragen und sie dort verankern können.
Schaffen Sie deshalb Runden, Foren und Treffpunkte, wo Management, mittleres Management und Mitarbeitende aus dem Teams die Notwendigkeit für die organisatorischen Umstellungen diskutieren. Wo sie aushandeln können, wie der Wandel konkret aussieht und umgesetzt wird:
- Wer macht am besten was, wann und wie?
- Vor allem auch: Wozu?
- Wer findet wo ihren/seinen neuen Platz?
- Wer ist wo am besten eingesetzt – mit ihrem/seinem Wissen, Erfahrung, Motivation?
“Take it to the team!”
Machen Sie allerdings allgemein klar, dass es keine Alternative zum Umbau hin zu einer agileren Organistation gibt. Binden Sie dann so viele Menschen Ihrer Organisation wie möglich mit ein. Vor allem aber das mittlere Mangement!
Mit anderen Worten: Lassen Sie alle Experten der eigenen Arbeit über ihre eigene (agilere) Struktur entscheiden.
Jede Wette:
Damit nehmen sie die meisten Menschen in Ihrer Organisation mit. Dadurch schreibt sich das neue Organigrammn fast von allein.
Literatur
- Appelo, Jurgen: How to Change the World.
- Appelo, Jurgen: Managing for Happiness. Übungen, Werkzeuge und Praktiken, um jedes Team zu motivieren.
- Balle, Michael u.a.: The Lean Strategy: Using Lean to Create Competitive Advantage, Unleash Innovation, and Deliver Sustainable Growth.
- Byrne, Art: The Lean Turnaround.
- Laloux, Frederic: Reinventing Organizations. A Guide to Creating Organizations. Inspired by the Next Stage of Human Consciousness.
- Ōno, Taiichi: Workplace Management.
- Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne.
- Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation.
- Simon, Fritz B.: Einführung in die systemische Organisationstheorie.
- Wohland, Gerhard; Wiemeyer, Matthias: Denkwerkzeuge der Höchstleister. Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen.