Manchmal werde ich gefragt, was für meine Arbeit die wichtigsten Tools und Herangehensweisen sind. Ein paar habe ich die letzten Wochen bereits vorgestellt (hier findest du sie). Heute geht es um ein weiteres, enorm wichtiges und wirksames Basiswerkzeug: Die gute alte Augenhöhe.
Kennen Sie den?
Zwei junge Fische schwimmen so dahin. Da begegnet ihnen ein älterer Fisch. Sie nicken sich zur Begrüßung freundlich zu, der ältere fragt im Vorbeischwimmen: „Na, Jungs, wie ist das Wasser?“ Schweigend schwimmen alle weiter ihrer Wege. Nach einer Weile sagt der eine junge Fisch zum anderen: „Was zum Teufel ist Wasser?“/1/
Mir gefällt diese Geschichte über die unbekümmerten Fische. Denn sie zeigt sinnbildlich, wie wir unbewusst und naiv, gleichzeitig aber auch recht souverän mit grundsätzlichen Umständen und Elementen klarkommen und leben.
Und das sogar meist unfallfrei und manchmal sogar ziemlich geschickt.
In der kleinen Fisch-Anekdote
ist es das überlebenswichtige Element Wasser, über das sich die jungen naiven Fische offenbar noch nie Gedanken gemacht haben und das sie für gegeben hinnehmen. Und mit dem sie ohne es zu wissen umgehen und hantieren.
Wir Menschen gehen mit einem anderen existentiellen Element oft genauso unbewusst, naiv und unbedarft um – aber eben auch mehr oder minder gekonnt: Mit der Kommunikation.
Kann ein Punkt ohne Bezugspunkt existieren?
Wir brauchen also das Miteinander-Sein. Den Austausch. Mindestens aber die Rückmeldung. Kurz: Wir brauchen Kommunikation. Je besser wir kommunizieren, desto besser leben wir.
Und das ist sehr konkret gemeint. Alles profitiert davon: Unser Sprechen sowieso, und also unser Denken. Damit wiederum unsere persönlichen und geschäftlichen Beziehungen. Und damit unser persönlicher sowie unser Geschäftserfolg./3/
Es macht also immer Sinn, sich mit fundiertem Basiswissen und soliden kommunikativen Fertigkeiten auszustatten. Vor allem sind jedoch all jene gefordert, deren (berufliche) Hauptaufgabe es ist, mit Menschen umzugehen. Gut, das sind wir ja irgendwie ALLE. Vor allem aber BeraterInnen, Coaches, LehrerInnen und Helfende aller Art.
Fällt im Wald ein Baum um…
Um sich in dieser Hinsicht aufzuschlauen ist sicherlich nicht notwendig, ein wissenschaftliches Studium zu betreiben, auch wenn ein bisschen grundlegende Theorie nie schadet. Oft helfen einfache Dinge – oder vereinfachte.
Ein solches praktisches Konzept ist für mich Sprechen bzw. Gesprächsführung auf Augenhöhe. Gemeint ist damit, einfühlsam und mitfühlend mit Menschen zu sprechen und umzugehen. Das schließt natürlich mit ein, dass man unter ALLEN Umständen vermeidet, von einer höheren oder einer tieferen Warte zu kommunizieren.
WEDER also belehrend, drohend, arrogant. NOCH unterwürfig oder devot. NIEMALS. (Bzw. dann nicht, wenn es um WICHTIGE Angelegenheiten geht und NICHT darum, Menschen aus unguten Beweggründen heraus zu manipulieren.)
Der Grund dafür ist einfach
So haben alle GesprächspartnerInnen (man selbst inbegriffen) nicht nur das Gefühl, mit ihren Bedürfnissen ernst genommen zu sein. Das ist auch so.
Auf Augenhöhe fällt es uns allen leichter, in einen ECHTEN Dialog einzutreten. Denn wir senden nicht nur. Wir empfangen gleichzeitig auch noch. Wir hören zu UND reagieren DARAUF.
Auf diese Weise wird der Austausch austariert
und ausbalanciert und echte ausgeglichene Lösungen gefunden statt der unausgewogenen, unfairen, übervorteilenden, die bei kommunikativen Schieflagen oft für langanhaltenden Ärger sorgen. Denn: Auch wenn man nie so genau weiß, WANN die Retourkutsche ankommt, so kann man sich darauf verlassen, DASS sie es tut.
Augenhöhe ist so gesehen die einzige Möglichkeit, für gelungene Kommunikation und gelingendes (Zusammen-) Leben zu sorgen. Das zumindest sagt mein gesunder Menschenverstand.
Und meine Erfahrung.
Und jede Menge Sozial- und Kommunikationstheorien.
Wie zum Beispiel die Transaktionsanalyse.
“Sei doch vernünftig!”
Soll Kommunikation in diesem Sinne gelingen, so ist unsere Aufgabe, unsere Anliegen so zu denken, zu sagen, zu schreiben etc., dass der/die andere etwas damit anfangen und weitermachen kann.
Nach der Transaktionsanalyse geschieht das erst, wenn sich die GesprächspartnerInnen auf der gleichen sprachlichen, mentalen, VOR ALLEM ABER emotionalen Ebene begegnen.
Augenhöhe. Sag ich doch.
Die Transaktionsanalyse geht von drei grundsätzliche Ebenen bzw. drei „Ich-Zuständen“ aus, auf bzw. in welchen sich Menschen begegnen.
- Eltern-Ich
- Erwachsenen-Ich
- Kind-Ich
Ich-Zustände sind konkreten Rollenmodellen ähnlich, die wir alle im Laufe unseres Lebens kennen- und imitieren lernen. So internalisieren wir sie, was nichts anderes heißt, als dass wir Denk- und Handlungsmuster so integrieren, dass sie zu Automatismen werden (Erfolgsmuster), die wir nicht mehr (oder selten) hinterfragen.
Das bedeutet, dass alles, was wir mit und in diesen Rollen im Laufe unseres Lebens aus erster oder zweiter Hand erleben, verbinden und auch assoziieren, sich dort wiederfindet – inklusive eben der eingespielten Automatismen.
“Bei allem Respekt…!”
Je nach grundsätzlicher oder konkreter Situation, Ansprache, Wortwahl, Gemütslage etc. wechseln wir permanent zwischen diesen drei Zuständen hin und her.
Dabei sind alle Spielarten von Aktionen und Reaktionen möglich: Autoritär, gütig, helfend, beschützend, besonnen, von oben herab, strafend, mit erhobenen Zeigefinger, parteiisch, neutral, auf Augenhöhe, ausgeglichen und ausgleichend, kompetent, naiv, aufgeschlossen, hilflos, angriffslustig, kritisch-konstruktiv, ehrgeizig, respektvoll, Hilfe suchend, rebellisch, bockig, beleidigt, angepasst, unterwürfig, beflissentlich, neugierig, ängstlich… /5/
Mit Augenhöhe ist gemeint
dass wir unsere GesprächspartnerInnen sprachlich, mental und/oder emotional in dem Ich-Zustand ansprechen, in dem sie gerade sind – und umgekehrt.
Nur so sind sie bereit und in der Lage, überhaupt konstruktiv damit klarzukommen, also mindestens das auf- und anzunehmen, was wir und die anderen zu sagen haben.
Das ist so, weil jede Kommunikation bzw. jeder KommunikationsVERSUCH sofort abbricht, wenn sie NICHT auf Augenhöhe gestartet wird.
Der Grund hierfür ist simpel
Menschen sind sonst schlicht emotional und mental mit anderen Dingen beschäftigt und also abgelenkt. Geschieht dies, so beginnt sofort eine neue Kommunikation. Sagt die Transaktionsanalyse.
Und unser aller Erfahrung.
Das ist also AUCH theoretisch. Vor allem aber ist es praktisch. Und in dieser Hinsicht auch sehr nachvollziehbar.
Wenn Sie Ihrer Kollegin z.B. eine dringende Aufgabe
mit den knappen, aber unüberlegten Worten auf den Tisch knallen: „Bis morgen musst du das machen“, so ist die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit eben sehr groß, dass Ihre Kollegin Ihnen (unbewusst oder bewusst) unterstellt, sie täten das im Ich-Zustand eines autoritären, befehlenden Eltern-Ichs (“Räum dein Dein Zimmer auf!”). /5/
Die Gefahr und Wahrscheinlichkeit ist dann genauso groß, dass Ihre Kollgin nun ins rebellische Kind-Ich verfällt – und sei es nur aus alter Gewohnheit (“Menno, ich will aber noch raus zum Spielen!”). Oder vielleicht fällt sie auch ins besonnen-abgrenzende Erwachsenen-Ich (“Ich lasse mir keine Befehle erteilen, da könnte ja jeder kommen.”)
In jedem Falle wird sich der jetzt folgende Wortwechsel um alles andere als um Fragen rund um die dringende Aufgabe drehen. Sie erleben eben beide, dass die ursprüngliche Kommunikation sofort beendet ist und sich eine neue ergibt.
Beispielsweise könnte eine Kommunikation darüber entstehen, dass sich Dinge auch auch anders sagen lassen, z.B. freundlicher, kollegialer, zielführender, effektiver, besser, der Sache dienlicher. Im Endeffekt also: erfolgreicher.
Und damit hätte Ihre KollegIn sogar recht. Denn: Echter, sich wiederholender Erfolg braucht eben: Augenhöhe.
Anmerkungen
- /1/ Diese schöne Geschichte findet sich im SEHR lesenwerten Essay „Das hier ist Wasser“ von David Foster Wallace: Wikipedia-Eintrag, Youtube-Video.
- /2/ Ein philosophisches Grundproblem, das Philosophie-Studenten angeblich oft im ersten Semester zur Bearbeitung vorgelegt wird, lautet: Wenn im Wald ein Baum umfällt, und keiner sieht es – ist der Baum dann umgefallen?
- /3/ Angesichts dessen ist es wirklich rätselhaft, wie kommunikativ naiv, unbekümmert und auch unbeleckt wir alle ins Rennen namens Leben und vor allem Berufsleben starten. Wann und wo werden uns wirklich die theoretischen und praktischen Grundlagen guter, also gelingender Kommunikation vermittelt? Im Kindergarten? In der Schule? In sonstigen Ausbildungsstätten? Naja. Wie so vieles lernen wir auch auf dem Gebiet der Kommunikation das allermeiste, indem wir es uns von anderen abschauen und selbst herumprobieren. Also durch Learning by Doing.
- /4/ Das bedeutet übrigens NICHT konfliktfrei – im Gegenteil sogar.
- /5/ Im Übrigen spielt es schwierigerweise gar keine so große Rolle, in welchem Ich-Zustand Sie tatsächlich waren. Ausschlaggebend ist, wie Sie Ihre GesprächspartnerInnen WAHRNEHMEN. Crazy, ich weiß! Es ist ein echtes Wunder, dass und wenn es uns gelingt, miteinander zu kommunizieren!
Literatur & Links
- Wikipedia-Eintrag Transaktionsanalyse
- Augenhöhe – Der Film
- Bauer, Joachim: Das Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren
- Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst.
- Berne, Eric: Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen.
- Bude, Heinz: Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen.
- Csikszentmihalyi, Mihaly: Flow.
- Dörner, Dietrich: Die Logik des Misslingens.
- Edmondson, Amy C.: Die angstfreie Organisation.
- Hüther, Gerald: Biologie der Angst. Wie aus Streß Gefühle werden.
- Hüther, Gerald: Die Evolution der Liebe. Was Darwin bereits ahnte und die Darwinisten nicht wahrhaben wollen.
- Kornfield, Jack: Das weise Herz. Die universellen Prinzipien buddhistischer Psychologie
- Morrell, Margot; Capparell, Stephanie: Shackletons Führungskunst.
- Nowak, Martin A., Highfield, Roger: Kooperative Intelligenz. Das Erfolgsgeheimnis der Evolution.
- Pink, Daniel: Drive. The Surprising Truth About What Motivates Us.
- Rinpoche, Mingyur: Buddha und die Wissenschaft vom Glück.
- Rodehack, Edgar: Tooling 1: Der gute alte Backlog
- Rodehack, Edgar: Tooling 2: Der gute alte Happiness Index
- Rodehack, Edgar: Tooling 3: Die vier Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Veränderung
- Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung.
- Sapolsky, Robert M.: Gewalt und Mitgefühl. Die Biologie des menschlichen Verhaltens.
- Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation.
- Simon, Fritz: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus.
- Tharp, Twyla: The creative habit. Learn it and use it for life.
- Thun, Friedemann Schulz von: Miteinander reden 1-4: Störungen und Klärungen. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Fragen und Antworten.
- Volk, Theresia: Spielen, um zu gewinnen. Macht und Wirksamkeit in Organisationen.
- Wallace, David Foster: Das hier ist Wasser. Gedanken zu einer Lebensführung der Anteilnahme vorgebracht bei einem wichtigen Anlass.
- Wallace, David Foster: This Is Water – Full version-David Foster Wallace Commencement Speech (Youtube)
- Watts, Alan: Weisheit des ungesicherten Lebens